Das Leben im Einzelhandel erzählt viele Geschichten. Das ist mir während der Recherchen zu den Porträts der Wolfenbütteler Einzelhändler aufgefallen. Der Unterschied zwischen dem Internet und dem Ladengeschäft in der Stadt liegt in den vielen schönen und persönlichen Kundenbegegnungen. Beim Einkaufsbummel in Wolfenbüttel geht es um mehr als den reinen Konsum von Ware.
Treue Kunden und offene Ohren
Eine Verkäuferin der Richter-Filiale in der Lindener Straße erzählte mir, dass viele, gerade ältere Kunden, beim Brotkauf ihr einziges Tagesgespräch hätten. Gerne nehmen sich die Mitarbeiterinnen von Richter deswegen Zeit für einen kurzen Theken-Plausch.

Bei »Exquisites bei Julia« zum Beispiel rauschte eine elegant gekleidete ältere Dame herein, die die Verkaufsmannschaft mit selbst gebackenen Kuchen versorgte. Solche dankbaren Stammkunden gibt es (fast) überall …

Gerade inhabergeführte Geschäfte zeichnen sich durch eine enge Kundenbindung aus. Augenoptiker Jürgen Kaune berichtete, dass Menschen über Jahrzehnte zu ihm kämen.

Bei »Fingerhut« erfuhr ich, dass eine Kundin ihr Brautkleid in einem Nähkurs selbst genäht hätte. Eine sympathische Kundengeschichte, wie ich finde.

Das alles war Grund genug für mich, um noch einmal genauer nachzufragen: Welche Wolfenbütteler Kundengeschichten aus dem Einzelhandel gibt es noch zu erzählen?
»Entdeckerladen«: die Entdeckung des Staudenselleries
Eine wunderbare Geschichte erzählte mir Britta Michel vom »Entdeckerladen«: »An einem sonnigen Samstagvormittag im Juni stehe ich wieder einmal gut gelaunt im Laden und bin gespannt, wer denn heute so kommt. Es ist schon gegen elf und viele Kunden sehen sich um. Da weht mir auf einmal ein sehr intensiver, angenehm würziger Geruch in die Nase. Der Duft von Staudensellerie.

Ich schaue mich kurz um und finde eine junge Dame mit einem Einkaufskorb voll frischem Obst und Gemüse. Wie im »Entdeckerladen« üblich, ist die Atmosphäre heiter und entspannt und so spreche ich sie kurzum auf ihre Einkäufe an. Tatsächlich, sie war gerade auf dem Wochenmarkt und hat unter anderem Staudensellerie gekauft. Der sei seit geraumer Zeit eine unverzichtbare Zutat in ihrer Küche.
Italienische Küche in Wolfenbüttel
Während eines halbjährigen Studienaufenthalts in Italien habe sie gelernt, dass in jede gute Tomatensauce auch Möhren, Zwiebeln und Staudensellerie gehörten. Sozusagen als unverzichtbare Basis für den delikaten Geschmack. Die Quelle des würzigen Dufts war also ermittelt und ich habe mal wieder was gelernt.

Das mit dem Staudensellerie werde ich demnächst mal selbst ausprobieren. Und das ist das Schöne am Einzelhandel – überall treffen sich nette Menschen, unterhalten sich und lernen nebenbei auch noch etwas Neues. Und so wird das bestimmt niemals langweilig im »Entdeckerladen«. Britta Michel und ihr Mann arbeiten übrigens gerade an einer neuen Internetseite für ihr Geschäft. Dort wollen sie auf einem Blog solche Geschichten erzählen.
»Messer Meyer«: konservierte Familienerinnerungen
Als erste Reaktion hörte ich auch oft: Da fällt uns nichts ein. Es gibt nichts zu erzählen. So etwa bei Yvonne und Jens Kalweit. Ich hake etwas nach und bekomme dann trotzdem noch eine Episode: »Einmal kam ein Kunde. Der wickelte ein Messer aus und fragte mit einem Schmunzeln, ob es auf das gute Stück eine Gewährleistung geben würde. Es befinde sich im Familienbesitz und sei etwa vor 60 Jahren bei »Messer Meyer« gekauft worden.«

Die beiden hätten mit dem Kunden gescherzt und sich die Sache angesehen. Mit der Gewährleistung sei es nichts mehr gewesen, meint Jens Kalweit rückblickend.

Aber das Messer konnte noch einmal instandgesetzt werden. Es bekam einen neuen Griff und die abgebrochene Klinge sei abgeschliffen worden, sodass das Schneidwerkzeug nach einem guten halben Jahrhundert wieder einsatzfähig gewesen sei.
»T-Shirt Schmiede«: keine billige Lösung aus Fernost
Auch Bernd Höppner von der »T-Shirt Schmiede« denkt, da gebe es nicht viel zu erzählen. Das Geschäft ist gerade voll, die Aufträge stapeln sich. Der Kopf ist nicht frei für Anekdoten. Zunächst jedenfalls.
Dann erinnert er sich an eine Kundin, die die Tücken des Online-Handels kennengelernt habe: »Sie hatte erst hier im Laden nach den Preisen für T-Shirts gefragt, dann aber doch über Amazon billig in China bestellt.«

Die böse Überraschung habe sich eingestellt, als das Paket nach langer Zeit endlich angekommen war. Der Zoll habe nämlich Kosten aufgeschlagen, sodass es mit Schnäppchen nichts mehr gewesen sei. »Schließlich waren die Shirts in einer so grausigen Qualität, dass die Kundin am Ende im Laden die ganze Bestellung noch einmal aufgeben musste«, erinnert sich Bernd Höppner.
»Kornblume«: unverhofftes Wiedersehen
Dass Michael Beck von der »Kornblume« gleich eine Geschichte parat hat, wundert mich nicht. Es gibt kaum einen kommunikativeren Ort in Wolfenbüttel, als zwischen den leckeren und gesunden Sachen auf der Breiten Herzogstraße.

Aber hier im Naturkostladen können sich Kunden nicht nur austauschen, so Beck, er taugt genauso zur Begegnung.
»Eines Tages treffen sich zwei Kundinnen im Laden und sind ganz überrascht sich hier wieder zu sehen. Sie hatten sich aus den Augen verloren und mehrere Jahre nicht gesehen.

Sie freuten sich, sich endlich wieder zu treffen und unterhielten sich angeregt. Dabei stellte sich heraus, dass sie in Wolfenbüttel geblieben waren und beide, aber immer zu unterschiedlichen Zeiten, Kundinnen in der Kornblume waren«, erzählt Michael Beck.
»Natürlich NORDISCH«: Nordenham in Wolfenbüttel
Schließlich erzählt Andrea Pfeiffer-Haats von »natürlich NORDISCH« eine Anekdote, bei der es ebenfalls um eine Wiederbegegnung geht. »Da kommt eines Tages ein Kunde in den Laden. Er studiert hier an der Fachhochschule. Er kennt meinen Mann aus den Vorlesungen. Wir kommen ins Gespräch und stellen sofort fest, dass wir aus der gleichen Ecke stammen. Aber es kommt noch besser«, freut sich sie sich.

Die Mutter des Studenten kennt Andrea Pfeiffer-Haats nämlich sehr gut. Die beiden seien zusammen zur Realschule gegangen. »Der Sohn hat dann später im Geschäft ein Überraschungstreffen organisiert und seitdem stehen wir wieder in Verbindung«, so die Geschäftsfrau. Für dieses Jahr sei ein gemeinsamer Besuch auf dem Weihnachtsmarkt der Lessingsstadt geplant.
Treffpunkt Einzelhandel
Der Wolfenbütteler Einzelhandel erzählt noch viele weitere solcher Geschichten von besonderen (Lieblings-)Kunden. Und genau wegen dieser Geschichten macht den Wolfenbütteler Einzelhändlern ihre tägliche Arbeit viel Spaß. Sie sind gerne für ihre Kunden da und freuen sich über den persönlichen Kontakt.
Die lockere Einkaufsatmosphäre und die fachliche Beratung sind dabei weitere Punkte, die auch ich als Kunde beim Einkaufen in Wolfenbüttel selber sehr schätze. Hier treffe ich mich mit freundlichen Geschäftsinhabern, guten Freunden und meiner Familie, um meine freie Zeit zu genießen.
Ich bin gespannt auf neue Episoden, die noch unerzählt sind…