Dass Wolfenbüttel ein wunderschönes Städtchen ist, weiß ich* schon von einer früheren Stippvisite. Jetzt nutze ich die Gelegenheit, die volle Pracht der Fachwerkstadt gründlich zu erkunden – und zwar gemeinsam mit meiner Familie. Ein ganzes Wochenende voller Programm liegt vor uns, als wir an einem Freitagnachmittag am Wolfenbütteler Bahnhof aus dem Zug steigen.
Unser erster Weg führt uns quer durch den Park zum Jugendgästehaus. Hier checken wir ein, denn die Unterkunft eignet sich nicht nur für Gruppen, sondern auch prima für Familien. Unsere Jungs sind schon ziemlich groß – 14 und 12 – und beziehen ein eigenes Zimmer mit Doppelstockbett neben unserem. Für Familien mit kleineren Kindern gibt es auch Mehrbettzimmer. Ein eigenes Bad ist immer dabei.
Unsere Unterkunft liegt wunderbar zentral. Wenige Minuten Fußweg bringen uns quer über den Schulhof des Gymnasiums [der offizielle Weg geht durch den Park] in den Innenhof des Schlosses und von da aus mitten in die Altstadt. Lessinghaus, Herzog August Bibliothek und Bürger Museum sind ebenfalls nicht weit.
Geheimtipp Wolfenbütteler Eis-Manufaktur
Unser erster Weg aber führt uns ein bisschen abseits in die Wohngebiete Wolfenbüttels. Knapp 20 Minuten laufen wir erst an Fachwerkhäusern vorbei, dann ein Stück an einer großen Straße. Aber der nicht übermäßig charmante Spaziergang lohnt sich: Mitten im Wohngebiet in der Straße Am Alten Schlachthof treffen wir auf die Wolfenbütteler Eis-Manufaktur.
Der kleine Salon bietet innen wenige Tische, im hübsch zurechtgemachten Garten ein paar mehr. Vor allem aber gibt es hier richtig, richtig leckeres Eis. Hier türmt sich keine mit Zusatzstoffen aufgeschlagene und üppig bunt verzierte Masse in der Auslage. In den fachmännisch abgedeckten Edelstahlbehältern hinterm Tresen wartet hochwertige Handwerkskunst auf uns. Pistazieneis schmeckt hier so richtig nach Pistazie, Schmand-Salz und Kumquat sorgen für ungewöhnliche Geschmackserlebnisse, und die dunkle Schokolade ist ein einziges Gedicht. Nicht nur die Jungs, auch Martin und ich sind im siebten Himmel. Kein Wunder, dass halb Wolfenbüttel in den abgelegenen kleinen Laden pilgert.
Abendspaziergang durch die Altstadt
Nach so viel Eis-Genuss fällt das Abendessen sparsam aus, aber immerhin bleibt uns so noch genügend Zeit für einen ersten Erkundungsgang durch die Altstadt. Klar: Hier ist Wolfenbüttel noch viel schöner! In der Dämmerung bewundern wir die Fachwerkfassaden und laufen durch teils enge Gassen und über den großen Marktplatz.
Jetzt, wo der Großteil der Besucher verschwunden ist und die Einheimischen ihren Abendroutinen nachgehen, haben wir gute Chancen, ohne Zeugen den einen oder anderen Geocache aus Mauerritzen oder anderen Geheimverstecken zu bergen. Etliche dieser Mini-Schätze sind im Stadtgebiet und teils mitten in der Altstadt versteckt – leider ziemlich gut, und so finden wir trotz Koordinaten und kryptischen Hinweisen über die Geocaching-App diesmal keinen einzigen. Egal, die generelle Idee dieses Spiels ist ja ohnehin, dass man an sehenswerte Orte gelangt, und zumindest die haben wir definitiv gefunden.
Besuch in DER Bibliothek
Wir sind eine durchaus bibliophile Familie. Von klein auf haben wir den Jungs vorgelesen, und die beiden haben sich zu echten Leseratten entwickelt. Damit haben sie eine Gemeinsamkeit mit Herzog August, der im 16. Jahrhundert schon in seiner Jugend mit dem Sammeln von Büchern begann. Bis ins hohe Alter fuhr er damit fort, und so entwickelte sich seine Bibliothek zu einer der damals umfangreichsten Europas.
Der neobarocke Kuppelbau, der Ende des 19. Jahrhunderts dafür errichtet wurde, setzt die teils uralten Schriften wunderbar in Szene. Inzwischen sind es rund eine Million Titel, darunter mehr als 10.000 mittelalterliche Handschriften. Schon zu Lessings Zeiten – der hier als Bibliothekar angestellt war – galt die Institution als achtes Weltwunder.
Der Anblick der in Leder gebundenen und nach Größe geordneten Wälzer im Schausaal der Bibliothek versetzt die Jungs in angemessene Ehrfurcht. Auch wenn sie finden, dass ihre Mutter es mit der begeisterten Besichtigung jedes einzelnen Schaukastens ein bisschen übertreibt, sind sie durchaus fasziniert von den mehr als 600 Jahre alten Buchmalereien, dem filigran gearbeiteten Astrolabium, uralten Landkarten und Globen, die in den musealen Sälen ausgestellt sind.
Disc-Golf im Park
Nach dem geballten Kulturprogramm ist kindgerechter Ausgleich angesagt. Wir leihen uns in der Tourist-Information ein Disc-Golf-Set aus. Die Mischung aus Golf und Frisbee ist der Outdoor-Trendsport, der in Wolfenbüttel hoch im Kurs steht. Gleich zwei Anlagen finden sich im Stadtgebiet. Wir pilgern zum innenstadtnahen Parcours im Seeliger Park.
Start- und Zielpunkte jeder Bahn sind markiert und quer über den Park verteilt. Als blutige Anfänger müssen wir ein bisschen aufpassen, dass wir die bunten Plastikscheiben nicht aus Versehen anderen Spaziergängern an den Kopf werfen oder sie in der Oker versenken. Aber vor allem die Jungs haben ganz schnell den Dreh raus und nähern sich mit immer weniger Würfen dem metallenen Ziel-Korb an.
„Das macht voll Spaß!“ sind sich die beiden einig.
Das AHA-Erlebnismuseum für Kinder und Jugendliche
Gründlich ausgetobt wären die Jungs nun wieder museumstauglich. Für unseren nächsten Programmpunkt ist jedoch steifes Benehmen gar nicht so gefragt. Wir laufen hinüber zum AHA-Erlebnismuseum für Kinder und Jugendliche, das etwas versteckt im Hinterhof eines Geschäftsgebäudes hinter den Parks der Wallanlage liegt.
Lautes Kinderlachen empfängt uns, und wir werden gebeten, im Vorraum unsere Schuhe auszuziehen. „Ist das ein Kindergarten?“ fragt der Große missmutig und zückt sein E-Book. „Ich warte draußen.“ Das wäre eine fatale Fehlentscheidung, wie der 14-Jährige hinterher freimütig zugibt. Nachdem wir ihn erst einmal überredet haben, den kunterbunten Kosmos mit uns zu betreten, amüsiert er sich mindestens ebenso sehr wie sein kleiner Bruder und alle anderen ab dem Krabbelalter.
Jedes Jahr stellt das auf ehrenamtlichem Engagement basierende Museum eine neue Ausstellung auf die Beine. Seit Mitte März geht es um brandaktuelle Themen wie unseren ökologischen Fußabdruck und was jede und jeder zu Hause gegen den Klimawandel tun kann. Im Kaufmannsladen gehen wir „einkaufen“ und scannen unsere Waren dann an speziellen Stationen. Betreten nehmen die Jungs zur Kenntnis, wie viel mehr Wasser und Energie für ein Stück Fleischwurst benötigt wird, im Gegensatz zu einem Netz Äpfeln.
Nach unserer Exkursion zum Thema „Kaufen, schmatzen, ver(sch)wenden“ versackt der eine am Molekül-Baukasten und steckt mit seinem Vater Modelle von Kristallzucker und Essigsäuren zusammen, der andere betrachtet praktisch seine ganze Umgebung unterm Mikroskop. Ich schieße mich währenddessen am Flipperautomaten Marke Eigenbau durch das menschliche Verdauungssystem.
Da wär‘ noch so viel mehr…
Am nächsten Morgen haben wir leider gar nicht mehr so viel Zeit übrig. Nachdem wir ausgiebig gefrühstückt haben in unserem Jugendgästehaus mit Blick ins Grüne, können wir gerade noch einmal die schönsten Ecken Wolfenbüttels im Hellen ablaufen: Klein-Venedig mit seinen Massen an Liebesschlössern über der Grachten-Brücke, das schmalste Haus Niedersachsens in einer Seitengasse, und immer wieder fantastische Fachwerk-Fronten.
Dann müssen wir uns schon auf den Rückweg zum Bahnhof machen. Schade, denn ich hätte noch so manches auf meinem Wolfenbüttel-Wunschzettel gehabt. Das Schloss Museum haben wir überhaupt nicht von innen gesehen, dabei soll es dort eine tolle Audioguide-Führung für Kinder geben. Auch ins Lessinghaus und in das Bürger Museum zur Stadtgeschichte haben wir keinen Blick geworfen. Das Stadtbad Okeraue und die vielen Parkanlagen mitsamt Spielplätzen hätten ebenfalls noch mehr Aufmerksamkeit verdient. – Da hilft nur eins: Wir müssen noch mal wiederkommen…
* Wer hier schreibt
Lena schreibt normalerweise für den Blog Family4Travel über die Reisen, die sie mit ihrer (noch) 4-köpfigen Familie erlebt. Für echt lessig hat sie nun ihren Besuch in Wolfenbüttel fest gehalten. Wenn ihr noch mehr über das Wolfenbüttel-Wochenende mit Kindern erfahren wollt, gibt es auch auf ihrem eigenen Blog einen lesenswerten Beitrag.