»Musik im Umbruch – zum 400. Todestag von Michael Praetorius«: So sind die Veranstaltungen zum Festjahr in Wolfenbüttel überschrieben. Ich begebe mich auf Spurensuche nach diesem großen Komponisten, den (fast) jeder und jede mindestens einmal jährlich im Ohr oder auf der Zunge hat.
Inhalt
- Bier und Musik
- Partymusik vor 400 Jahren
- Eine Musik ohne Ende
- Wer war Michael Praetorius?
- Der Weg zur Musik
- Von der Uni Helmstedt in die Hofkapelle
- Wolfenbüttel ist Musikstadt
- Die Wolfenbütteler Hofkapellmeister
- Geistliches und Irdisches
- Die Vergangenheit wird lebendig
- Ein Musiker für alle Lebenslagen
- Musik kennt keine Grenzen
- Das Michael Praetorius Collegium
- »Musik im Umbruch« – was erwartet uns?
- Informationen zum Praetoriusjahr:
Bier und Musik
»Was hast Du gehört? Praetorius? Den kenne ich nur als Altbier. Terpsichore*?«, lacht ein Freund, dem ich von einem Hörerlebnis berichte. Das Altbier sei auch richtig gut, stimme ich zu und es passt sogar zum Thema. Denn der Praetorius, Michael, hat in Wolfenbüttel ebenfalls gebraut oder ließ brauen in seinem Wohnhaus Großer Zimmerhof Nr. 20. Vor über 400 Jahren freilich.
*[Sammlung von Tänzen des Michael Praetorius]
Unbändig erscheinendes, lockiges Haar, offene, neugierige, fast ein bisschen lustige Augen, Denkerstirn und ein Hipster-Bart nebst gezwirbeltem Schnauzer. So schaut er von der Bierflasche, die der Wolfenbütteler Brauer und Fotograf Denver Künzer von Hand abfüllt.
Partymusik vor 400 Jahren
Handschuhe in der Linken, Notenpapier in der Rechten, dazu ein Umhang als wollte er gerade los, das ist das vielleicht berühmteste Bild, des Komponisten. »Terpsichore, zugegeben, das klingt etwas komisch (Man muss es auf der 2. Silbe betonen!) . Aber ich würde sagen, das ist frühe Partymusik«, kläre ich meinen Freund auf.
Wie ging das vor 400 Jahren ab? Wenn es eine Party gab, dann im Schloss. Im Schein der Kerzen hatte sich der Herzog selbst, Heinrich Julius, kostümiert. Von seinen Reisen hatte sein Sohn, der Erbprinz Friedrich Ulrich den Tanzmeister Antoine Emeraud aus Paris mitgebracht. Denn das Zentrum der europäischen Partyszene war Frankreich.
Eine Musik ohne Ende
Und Heinrich Julius, das war der damalige Schlossherr, hatte natürlich einen eigenen Komponisten, seinen Hofkapellmeister, der die französischen Tanzweisen mit seiner Hofkapelle zum Tanz aufspielte. Dieser Michael Praetorius ist vor 400 Jahren gestorben – ein Grund, warum ich meine Plattensammlung durchstöberte und Terpsichore auf den Plattenteller legte. Ich höre sie wieder und wieder.
Es ist eine Musik, die fern ist und die mich aber trotzdem fesselt. Sie scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben. Das Rhythmische, Tänzerische überwiegt so stark, dass man sich fast bewegen muss. Die Gedanken kreisen und kreisen. Zwar sind die Stücke kurz, aber wie aus einem Guss erscheinen die Melodiebögen lang.
Wer war Michael Praetorius?
Wer war dieser Mann, der eigentlich Schultheis hieß und den es irgendwann Anfang der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts in unsere Gegend zog? »Es ist ein Ros entsprungen« – mein Freund trumpft auf. Natürlich, das ist der Hit, mit dem der Sohn eines Pfarrers sich in die Erinnerung eingeschrieben hat.
Ich verabrede mich mit Professor Christoph Helm. Er ist Altphilologe. Das ist jener Teil meines Studiums, den ich weitgehend im Blindflug erledigt habe. Das Latinum musste ich nebenbei in der Uni nachholen, weil ich dem Rat meines Lateinlehrers am THG leider nicht folgte. Hinterher ist man immer klüger.
Der Weg zur Musik
Helm organisiert als Vorsitzender des Kulturstadtvereins Wolfenbüttel das Praetorius-Jahr in leitender Funktion, wie mich Google wissen lässt. Also mache ich natürlich erstmal meine Hausaufgaben: Pfarrerssohn, dieser Praetorius. Die Eltern versterben früh. Mit 13 ist er bereits Student an der Viadrina in Frankfurt/ Oder. Dort lehrt auch Helm.
13 Jahre, was waren das für Biografien. Kindheit gab es nicht. Vielleicht sehen aus diesem Grund Kinder auf Bildern dieser Zeit immer aus wie kleine Erwachsene. Praetorius soll Pfarrer werden, wie sein Vater. Leider ist die Quellenlage dürftig. Wir wissen nicht, wie er gelebt hat. Nur dass er sehr musikalisch gewesen sein muss. Mit 16 verdiente er sich sein Geld als Organist an der Marienkirche in Frankfurt/ Oder.
Von der Uni Helmstedt in die Hofkapelle
Ungefähr 1576 muss er in unsere Region gekommen sein, um sein Studium an der Universität in Helmstedt weiterzuführen. Hier hat ihn wahrscheinlich der Herzog an seinen Hof geholt, da er gerade einen Organisten brauchte. Wie dieser Michael Praetorius zu dem großen Komponisten geworden ist, als der er heute gilt, bleibt im Dunkeln. Vermutlich war er Autodidakt.
Jedenfalls hat er zuerst in der Hofkapelle des Herzogs Heinrich Julius die Orgel gespielt und wurde dann Hofkapellmeister. Mit diesen Erstinformationen mache ich mich auf dem Weg zu Christoph Helm. Der Kulturstadtverein habe mit dem Musikalischen eine wichtige Säule, erläutert mir der Vorsitzende des Vereins gleich zu Beginn des Gesprächs.
Wolfenbüttel ist Musikstadt
Wo besser als im Prinzenpalais könnte so ein Verein beheimatet sein? Lange schon ist dieses architektonische Kleinod Heimstatt wunderbarer Konzerte. Helm empfängt mich in seinem Büro. Auf einem großen, runden Tisch liegen CDs und Publikationen, die in den letzten Jahren zusammengekommen sind. Ein Laptop auf dem Schreibtisch flimmert und erinnert in diesem historischen Gemäuer an die Gegenwart.
»Schön, dass Wolfenbüttel mehr und mehr auch als Residenzstadt und Lessingstadt wahrgenommen wird«, sinniert Helm. Denn der Hof habe immer einen ebenso starken musikalischen Schwerpunkt gehabt. Und im Frühbarock sei er sogar das Zentrum der Musik in Norddeutschland gewesen.
Die Wolfenbütteler Hofkapellmeister
Vielleicht sei es die tiefe Religiosität, die heute den Zugang zu dieser Musik schwermache, meint der Vorsitzende des Vereins, der in diesem Jahr mit zahlreichen Kooperationspartnern das Praetoriusjahr geplant und realisiert hat. Seit sechs Jahren gibt es jedes Jahr ein Konzert, das das Schaffen eines der Hofkapellmeister thematisiert.
2016 hatte die Konzertreihe mit Praetorius angefangen und endet nun zunächst mit ihm und der sechsten CD, die im Anschluss an das große Festkonzert gebrannt werden wird. Dabei scheint die Organisation solch eines Festjahres mit allen notwendigen Anträgen, Formularen sehr »irdisch« zu sein. Im Gegensatz zur Musik des Komponisten.
Geistliches und Irdisches
Praetorius kürzte seinen Namen MPC ab – Michael Praetorius aus Creuzburg, seine Geburtsstadt. MPC war aber genauso das Kürzel für sein Lebensmotto »Mihi Patria Coelum« – also der Himmel ist mein Vaterland. Dieser Verbindung zum Glauben – auch bei den Herzögen –, so Helm sei für ihn immer wieder sehr bewegend.
Im krassen Gegensatz dazu stand die Organisation dessen, was wir ab Mitte des Jahres ganz entspannt genießen können: Konzerte, Workshops, Tänze, Ausstellungen und Vorträge. »Es gab in den drei Jahren Vorbereitung zahlreiche Höhen und Tiefen«, resümiert Helm. Da müssen Anträge geschrieben und Drittmittel herangeschafft werden.
Die Vergangenheit wird lebendig
Noch bis in dieses Jahr hinein habe es Zusagen von Einrichtungen gegeben, die Geld flüssig gemacht und damit die Realisierung möglich gemacht hätten. Zuletzt kam die Zusage vom Kulturstaatsministerium in Berlin. »Jetzt haben wir alles auf den Punkt gebracht«, freut sich Helm.
Damit atmet unsere Stadt wieder etwas von jenem Flair, das ihr der Hof über so viele Jahre eingeprägt hat. Als Praetorius verpflichtet wurde, muss es besonders spannend gewesen sein, was sich da in Wolfenbüttel abspielte. Der gewissenhafte, gottesfürchtige und gebildete Komponist traf auf einen ebensolchen Landesherren.
Ein Musiker für alle Lebenslagen
Herzog Heinrich Julius war, wie viele große Menschen eine ambivalente Persönlichkeit. Auf der einen Seite Dichter und Förderer der Künste – unter ihm gab es das erste feste Theaterensemble Deutschlands. Auf der anderen Seite ließ er im Lechlumer Holz Hexen verbrennen.
Mit Praetrorius pflegte er ein intensives Arbeitsverhältnis. Der war nicht nur für die Kirchenmusik verantwortlich, komponierte für Feste und spielte zu Tische auf: Der Komponist musste die herzogliche Familie auch noch unterrichten. Praetorius selbst war mit seinem »Job« äußerst zufrieden, wie wir aus Briefzeugnissen wissen.
Musik kennt keine Grenzen
Am Hof konnte der Tonsetzer auf eine international besetzte Hofkapelle zurückgreifen. Schon 1590 kamen die 16 Musiker, noch unter seinem Vorgänger Thomas Mancinus, aus verschiedenen Nationen. Weltläufigkeit ist mitnichten ein Zeichen unserer globalisierten Zeit.
Etwas von diesem Wirken transportiert das Praetoriusjahr, an dem so viele mitgewirkt haben. Ein anderer, den ich um Rat nachsuche, ist Winfried Elsner, Vorsitzender des Michael Praetorius Collegiums. Seit 1972 gibt es diesen Verein, dessen Aufgabe die Pflege klassischer Musik ist. Praetorius war lediglich der Namensgeber.
Das Michael Praetorius Collegium
»Als im Jahre 2004 das 400-jährige Jubiläum der Bestellung Michael Praetorius‘ zum Hofkapellmeister anstand, wurde ich als Vorstandsmitglied des MPC gebeten, die Vorbereitungen dafür in die Hand zu nehmen und mich genauer um Michael Praetorius zu kümmern. Dieser Auftrag war die Initialzündung meiner Beschäftigung mit Leben und Werk des Hofkapellmeisters. Sie hat mich seitdem nicht mehr losgelassen«, berichtet mir Elsner.
Er freut sich, dass er dieses Praetorius-Jahr mit anstoßen konnte: »Vermittelt durch den Verein Kulturstadt Wolfenbüttel und gefördert durch die Stadt Wolfenbüttel wurde, wie der Flyer und die Veranstaltungsseite zeigen, ein vielfältiges Fest-Programm entwickelt. Ziel des Programms ist es, Michael Praetorius als Komponisten, Organisten, Gelehrten und Pädagogen vermehrt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.«
»Musik im Umbruch« – was erwartet uns?
Beeindruckend ist das Programm. Da wird das Orgelgesamtwerk des Meisters erklingen. Es gibt Schülerworkshops und das Konzert »Zeitmaschine«, Workshops und Tanzabende sowie Festgottesdienste, und vier große Festkonzerte, u. a. mit dem RIAS-Kammerchor Berlin zusammen mit Capella de la Torre Berlin, und ein Weihnachtskonzert mit dem Knabenchor Hannover.
Da es gleichzeitig das 51. Internationale Heinrich-Schütz-Fest ist, kann man die beiden Komponisten in einem Konzert des Ensembles Weser-Renaissance genießen. Wolfenbüttel und Praetorius – das ist eine gute Verbindung – auch 400 Jahre nach Praetorius‘ Tod. Sie zeigt, dass unsere Stadt mehr ist als Residenz- und Lessingstadt.
Von hier aus ging Musik in die Welt. Und alle guten Dinge kommen irgendwann wieder zurück. Ich freue mich diese Reise in die musikalische Vergangenheit unserer Stadt.
Informationen zum Praetoriusjahr:
Internetseite zu Praetorius: http://www.michael-praetorius.de/
Veranstaltungsseite: https://www.michael-praetorius-2021.de/
Dort ist auch der Flyer zu finden: https://www.michael-praetorius-2021.de/wp-content/uploads/2020/10/praetorius-flyer-2021.pdf
Kulturstadt Wolfenbüttel e. V.: https://www.kulturstadt-wolfenbuettel.de
Ein guter Artikel: unterhaltsam formuliert, inhaltlich abwechslungsreich und sachlich richtig, (was bei diesem Thema überhaupt nicht selbstverständlich ist.) Die Bilder und Musikbeispiele lockern gut auf. (Einzige Ungenauigkeit: Die „Grabplatte“ ist eine Erinnerungstafel, die das Michael Praetorius Collegium 1997 gesetzt hat. Eine Grabplatte sowie auch das Epitaph für Praetorius sind nicht erhalten.)