Die Auguststadt. Früher lag sie vor den Türen der Stadt. Heute ist das Quartier ein kleiner Kosmos, der (nicht nur) von seinen Bewohnern geliebt wird.
Richtige Städte haben Quartiere. Zu Deutsch heißt das einfach nur Stadtviertel, klingt jedoch nicht so gut. Wolfenbüttel hat zwar nicht Kreuzberg oder Schwabing zu bieten. Kein Wunder, wir sind ja auch viel kleiner. Aber wie Berlin oder München waren wir Residenz.
Das bedeutet: Wir haben Geschichte und damit nicht weniger Geschichten. Carsten Richter, Bäckermeister und ein leidenschaftlicher Auguststädter, kennt viele Geschichten und findet sein Quartier so schön, dass er fast immer in seinem Leben dort gewohnt hat – bis auf die Lehr- und Wanderjahre.
Die Hauptverkehrsader erinnert an einen Freiheitskämpfer
»Als ich einmal außerhalb meiner Kirchengemeinde in Wolfenbüttel wohnte, habe ich trotzdem beantragt, dass die Johanniskirche weiter meine Gemeinde bleibt«, lacht er. Denver und ich haben uns mit dem Altstadtbäcker und Brotversteher in seiner Hauptzentrale getroffen.
Die liegt natürlich in der Auguststadt, auf der Dr.-Heinrich-Jasper-Straße. Dieser Heinrich Jasper war übrigens in den 20er und 30er Jahren Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig. Was die Bayern können, können wir schon lange. Und er war ein Freiheitskämpfer.
Die Auguststadt – ein Stadtteil der einfachen Leute
Er wollte sich mit Diktatur und Gewalt nicht abfinden und bezahlte nach einem langen Martyrium diesen Kampf mit dem Leben. Wenn Ihr bei einer Stadtbesichtigung von der Innenstadt aus einen Abstecher in die Vorstadt macht, solltet Ihr daran denken. Und ein Abstecher lohnt sich.
Gegründet wurde die Auguststadt von Herzog August dem Jüngeren als Heimstatt für Handwerker und Soldaten. Sie lag praktisch vor der Feste, dem Schutzwall. Der hatte spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg aber seine Bedeutung verloren und degenerierte langsam zum Steinbruch.
Ein Bäckerquartier
»Wenn ihr euch hier einmal die Keller anschaut, dann findet ihr in den Fundamenten die Sandsteine der Stadtmauer wieder«, erzählt Carsten Richter, während wir auf den Dachboden gehen. Dort steht ein alter Innungsschrank der Wolfenbütteler Bäcker. Früher habe es in der Auguststadt sieben produzierende Bäcker gegeben.
Nun seien nur er und die Bäckerei Reuß übrig geblieben, meint er traurig. Egal ob bei Richter oder Reuß. Beide Bäcker führen gemütliche Cafés. Ein Gang durch die Auguststadt solltet Ihr bei einem Stück Kuchen oder Torte krönen. Denver und ich gehen vom Altstadtbäcker aus los und lassen uns alles zeigen.
Malerische Straßenzüge mit renoviertem Fachwerkbau
Auf der Dr.-Heinrich-Jasper-Straße gibt es einige Geschäfte. Dabei sind auch besondere wie eine Sushi Bar und eine Schneiderin, die exklusive Mode macht. Wir biegen in die Grundstraße ab. Wie gesagt, die Auguststadt war zunächst für Handwerker und Soldaten da. Später war sie Arbeitersiedlung. Wer im nahegelegenen Welger-Werk in Lohn und Brot stand, wohnte hier.
In den kleinen Sträßchen – Grundstraße, Hospizstraße und Rosenmüllerstraße sowie Jägerstraße … – gibt es viele restaurierte Fachwerkhäuser mit schönen Details. Dieser Herr Rosenmüller war übrigens ein zu seiner Zeit bekannter Komponist, der an der Johanniskirche seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Nichts für Guinnessbuch-Rekorde, aber schön: Die Johanniskirche
Diese Kirche ist überhaupt etwas ganz Besonderes. Kein aufstrebender Dom, nichts Spektakuläres, was Größe und Ausmaße anlangt. »Das ist eine echte Handwerkerkirche, ein Fachwerkbau«, schwärmt Carsten Richter. Hier sei er getauft und konfirmiert worden. Hier habe er geheiratet.
Er zeigt auf einen Balken am Eingangsportal: »Den durfte ich stiften.« Mit der Beschaulichkeit und Spiritualität dieses Gotteshauses fühlt er sich verbunden. In manchem Konzert konnte ich das ebenfalls erleben. Die Johanniskirche ist so wenig für das Guinnessbuch der Rekorde geeignet, dass nicht einmal die Glocke auf das Dach passte.
Sich treiben lassen
Der Bau ist etwas instabil. Deshalb musste ein Glockenturm nebenan, diesmal aus Stein, gebaut werden. Wir durchqueren den beschaulichen Kirchgarten und ich erinnere mich an meine eigene Vergangenheit. Damals pilgerte ich hierher in das Gemeindezentrum zur Jugendarbeit. Alles atmet eine entspannte Ruhe: die hohen Bäume, das satte Grün des Rasens und die Grabsteine der Pastoren.
Wenn Ihr durch die Auguststadt schlendert, braucht Ihr keinen Plan. Auf jeden Fall solltet Ihr noch die Jägerstraße besuchen mit den liebevoll renovierten Häusern. Dann solltet Ihr zum Wehr gehen und sommers bewundern, was die Stadtgärtner an den Brücken und anderen exponierten Stellen in die Blumenkästen zaubern.
Die Wallanlagen unter der Feuerwache
Auf der großen Kreuzung an der Feuerwache buche ich nach unserem Rundgang mit Carsten Richter später noch einmal einen Termin bei der Aktionsgemeinschaft Altstadt. Dort erwartet mich und eine Mitarbeiterin der Stadt, die gleich ein paar Filmaufnahmen macht, Manfred Frohse.
Er gehört zu den Menschen, die ich aufrichtig bewundere. Seine Passion ist die Geschichte, seit er als Schlossschüler an einer Jahresarbeit über die Wolfenbütteler Straßennamen gebüffelt hat. Der Heimathistoriker erwartet uns hinter der Feuerwache, um uns auf ein besonderes Denkmal aufmerksam zu machen.
Der Schutzwall der Stadt
Als die große Kreuzung gebaut wurde, stießen die Bauarbeiter auf Reste der Stadtmauer. Als wir in den kühlen Raum mit Baugerüsten kommen, verbessert uns Manfred Frohse gleich: Es könne eher von einem Wall gesprochen werden, der von hier aus das Schloss schützte. Eine Mauer sei das nicht. Die Steine seien unverfugt. Sie hätten sich nur »angelehnt«.
Frohse spricht mit Emotionen und anschaulich über diese Begrenzung, die in den Kriegen der frühen Neuzeit, also im 16./ 17. Jahrhundert, nicht überwunden wurde. Bekanntlich wurde Wolfenbüttel nur niedergezwungen, indem im Dreißigjährigen Krieg die Oker angestaut und die Stadt unter Wasser gesetzt wurde.
Ein Blick in die Geschichte der Auguststadt
Als wir die Metallstufen hinabgehen und die Höhe der damaligen Anlage in Augenschein nehmen, können wir einen Eindruck von der Mächtigkeit dieses Walls bekommen. Steine, erzählt Manfred Frohse, seien früher Mangelware gewesen. Deshalb seien sie später gern zum Weiterbau benutzt worden.
Wenn Ihr genau hinschaut, könnt Ihr manchen Stellen die Signaturen der Steinmetze erkennen. Die bezeichneten vermutlich aus Gründen der Abrechnung die Quader. Eine Besichtigung dieses kleinen Museums könnt Ihr übrigens bei der Tourist-Info oder über die Aktionsgemeinschaft Altstadt buchen.
Zurück zum Holzofen-Café
Letztere freut sich, meint Manfred Frohse bei der Verabschiedung, wenn sich auch in Zukunft Menschen finden würden, die das Erbe der Stadt und die Erinnerung hier wachhalten würden. Ein Besuch der alten Wallanlage ist auf jeden Fall den Besuch wert.
Bei unserem Rundgang mit Carsten Richter schlendern wir am Waisenhaus vorbei – hier könnt Ihr sogar manchmal in den pittoresken Innenhof schauen, wenn die Türen geöffnet sind, zurück zur Bäckerei und zum Café, das knapp an der Auguststadtgrenze liegt.
Nicht so spektakulär wie Kreuzberg oder Schwabing…
Wir setzen uns nach draußen, genießen Kaffee und Kuchen und lassen den Rundgang Revue passieren. Ein Abstecher in die Auguststadt lohnt sich. Mit ihrem Stadtteiltreff ist sie darüber hinaus ein echtes Quartier – nicht so spektakulär wie Kreuzberg oder Schwabing. Aber nicht weniger schön …
Für Carsten Richter ist die Auguststadt sogar der schönste Teil Wolfenbüttels. Hier lebt und arbeitet er mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und versorgt die Menschen mit Back- und Konditoreiwaren. Und hier fühlt er sich wohl. Ich kann jetzt verstehen, warum …
Das Haus, «Auch in der Auguststadt gibt es Bürgerstolz»: ist es nicht die ehemalige Konditorei Lambrecht die von Bernhard Lambrecht, dem Gründer der Konditoreischule im Neuen Weg, betrieben wurde?
Und mein Großvater war der erste Weihnachtsbaum Verkäufer. Walter Wolf Obst Gemüse Weihnachtsbäume. Später von meine Tante Frau Schierhorn übernommen