Der Wochenmarkt in Wolfenbüttel ist die perfekte Freiluft-»Shoppingmall« mit Geschichten und Geschichte. Vor allem aber ist er ein Platz, an dem ich gerne leckere Sachen kaufe…
Was ist das Gegenteil einer »Shoppingmall«? Für »Shoppingmall« spuckt die Suchmaschine im Internet »Einkaufszentrum« aus. »Ein Einkaufszentrum, auch Shoppingmall […], ist eine räumliche und organisatorische Konzentration von Einzelhandelsgeschäften und Dienstleistungsbetrieben unterschiedlicher Branchen und gegebenenfalls Angeboten wie Fitnesszentren oder Kinos«, verrät Wikipedia. Das Gegenteil dazu? Nicht eine einkaufsfreie Zone ist gemeint. Die »Mall« ist für mich steril, selbst, wenn irgendwann, im Oktober gefühlt, Weihnachtsbäume vor jeder Rolltreppe herumlungern und goldene und rote Kugeln nebst rotnäsigen Rentieren weihnachtliche Stimmung zu verbreiten versuchen. Sie ist steril, überdacht und klimatisiert. Aber man bekommt alles. Atmosphärisch das Gegenteil dazu ist für mich der Markt. Ich rieche und schmecke ihn. Mit ihm verknüpfen sich Kindheitserinnerungen an die erste Bratwurst bei Mecki. Ich erinnere mich an meine sehnsüchtigen Blicke, wenn Wolfgang Aust mit lauter Stimme seine Wurstwaren zum Probieren anbot und wir aber mit schnellen Schritten zum Bus mussten.
Die Geschichte des Wolfenbütteler Wochenmarktes
Der Markt, das sind raue Kisten, schicke Verkaufswagen, einfache Tische, aufgetürmte Ware, werbende Frauen und Männer, ein Gewusel von Menschen – vor und hinter den Ständen. Der Markt ist nicht überdacht, allenfalls für den Augenblick des Einkaufs. Im Sommerregen suchst du Schutz, und wenn es im Winter richtig kalt ist, dann gibt es kurze Erholung unter den Planen, die als Zelt schützend vor das Gemüse gespannt sind. Als Kind habe ich während der Wintertage oft an den Maroni-Mann denken müssen, der immerzu fror und dem die »Kleine Hexe« half.
Die Hexe, die nur dann gut ist, wenn sie böse wird. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie den Frauen und Männern an den Ständen ganz fix so ein behaglich, warmes Gefühl gezaubert hätte … Für mich ist das Gegenteil zur »Shoppingmall« der Markt. Nicht, dass ich das eine verschmähen würde. Aber das andere habe ich für mich wiederentdeckt. Der Marktplatz: Das ist das Herz der Stadt. Hier haben sich unsere Großväter, Urgroßväter und auch die Ur-Ur-Ur-Ur-Großväter getroffen – und natürlich die Mütter. Am Brunnen des zentralen Platzes gab es Wasser, Informationen und vor allem schon immer Waren jeder Art.
Früh morgens auf dem Wochenmarkt in Wolfenbüttel
Als sich die Wege im mittelalterlichen Wolfenbüttel noch morastig zwischen den Häusern und Kanälen wanden, da war der Marktplatz bereits ordentlich gepflastert. Wenn Menschen in der Zeit Spuren hinterlassen könnten. Der Stadtmarkt wäre ein Spurengewirr. Denn seit Jahrhunderten kommen und gehen hier Fremde und Einheimische, Bauern und Schausteller, Juweliere und Händler. Wenn Marktzeit war, zeigte das eine kleine Fahne an. Im Jahr 1585 boten 104 Personen (!) – die Chronik schreibt »arm und reich« – ihre Waren feil. Und selbst der Herzog kaufte hier oder ließ einkaufen: Perlen, Tücher, Kissen oder Zwirn.
Heute ist der Wochenmarkt beschaulicher, aber ich entdecke trotzdem jede Woche etwas Neues. Allein die Tageszeit verändert das Geschehen. Wer ganz früh auf den Beinen ist, kann Michael Müller sehen. Er ist der »Meister des Marktes«. Ich treffe ihn um 5 Uhr. Das ist eigentlich nicht meine Zeit. Aber wenn die Bettschwere erstmal überwunden ist, zeigt sich sogar die Schönheit der Morgenstunden. Vor allem: Die Marktbeschicker erlebe ich in diesen Stunden in einer ganz anderen Stimmung. Natürlich schaffen auch jetzt fleißige Hände. Schütten werden mit Obst und Gemüse befüllt und drapiert. Silvana putzt noch ihre offene Küche, Gianni bereitet ein paar Platten vor und holt sich vom Standnachbarn rasch noch frisches Basilikum. Und wer Lust hat, trinkt bei Meggie oder Silvana eine Tasse Kaffee oder hält einfach nur einen Plausch. Alles ist ganz entspannt.
Großes Familientreffen auf dem Wochenmarkt
Die Atmosphäre gleicht einem großen Familientreffen. Dieser ist krank, der andere hat Probleme mit der Hitze, in der die Waren zu verderben drohen. Hier braucht jemand Hilfe. Dort wird eine Anekdote erzählt. »Das ist so etwas Wunderbares, der Markt. Das darf nie enden«, beschwört mich Meggie Dawson bei einem Gespräch. Sie liebt den Markt und versorgt ihre Kunden mit leckerer Currywurst oder den legendären Zipfeln. Jeder Einzelne kann hier eine Geschichte erzählen.
Meggie zum Beispiel, wie sie ihre große Liebe in der britischen Kaserne kennengelernt hat, wie sie auf der Insel, fern der Heimat lebte, um sich später den Traum von einem eigenen Wagen auf dem Markt zu verwirklichen zu können. Ihr gegenüber steht Gianni. Immer freundlich mit einem »Buon giorno«. Bei ihm bekommen nicht nur die Kinder eine Scheibe Wurst. Gegen halb sieben kommen die ersten auf den Markt, die Stammkunden und Frühaufsteher, die sich das Beste holen wollen. Jede Tageszeit hat ihre Kunden. Und zwischen zehn und elf wird es zeitweise richtig voll.
Flanieren auf dem Wolfenbütteler Wochenmarkt
Aber Wartezeiten sind nicht vergeblich auf dem Markt. Denn ich treffe eigentlich immer jemanden. Meinen alten Lehrer, Schulfreunde, Bekannte, Freunde oder Verwandte. Auf dem Markt kannst du flanieren. Ziellos umherstreifen oder planvolle Runden drehen. Von Meggie zu Gianni. Im Frühling bilden sich Menschentrauben, um sich von Hacke den leckeren Spargel zu holen. Daneben begrüßen Guillaume und seine Mannschaft vom Bioland Lindenhof nicht nur die umweltbewussten Besucher des Marktes.
Guillaume, der auf dem Markt richtig gut Deutsch gelernt hat, schwärmt von dem, was die Erde in Eilum vor dem Elm geschenkt hat – unter dem geduldigen Arbeitseinsatz der Bio-Korporative. Und natürlich gibt es immer ein Rezept oder einen Tipp. Ganz egal, wo ich bin. Bauer Boldt etwa – auch der kann eine Geschichte erzählen. Vom DDR-Staatsbetrieb fiel die Gärtnerei wieder an die Familie. Und die produziert nun mit Leidenschaft generationenübergreifend alle möglichen Feldfrüchte. Wie soll ich den Sonntagsbraten zubereiten? Dirk Waldmann weiß Bescheid. Und bei Dudel gibt’s die passenden Gewürze dazu.
Viele Geschichten um und auf dem Wochenmarkt
Da ist die Fischräucherei, bei der einem samstags das Wasser im Munde zusammen läuft, der große Tisch vor dem »Käseleckerland«, an dem man nach Herzenslust probieren kann. Wer glaubt, dass eine Traube eine Traube ist, der sollte sich dringend zur Fruchtquelle gegenüber wenden. Was Jörg Ziehe an verschiedenen Sorten zusammenträgt, das macht mich immer wieder staunen. Wie ein Fleischer dazu kommt ein Obst- und Gemüsemeister zu werden? Wer ein bisschen Zeit mitbringt, dem erzählt Jörg Ziehe gern diese Geschichte, wenn er seinen leckeren Obstsalat zubereitet.
Denn der Markt ist nicht nur Einkaufs-, sondern vor allem Gesprächsraum. Da duftet frisches Brot und Backwaren – ob von Tutschek, dem schlesischen Bäcker, Rühmann, dem Bäcker aus Salzgitter oder die Bio-Backwaren von der Elmbäckerei. Gerhard Held ist ein stiller Mann. Nicht so, wie man sich Fischverkäufer auf dem Markt in Hamburg vorstellt. Aber die Kunden schätzen seine frische Ware und die guten Tipps des gebürtigen Gadebuschers. Wie er und seine Familie 1977 von der DDR in den Westen gekommen sind, das ist ebenfalls eine lange Geschichte.
Berühmtheiten und »Start ups«
Auf dem Markt gibt es Originale. »Fernsehberühmtheiten« wie Beate Pieper, der mit ihren bunten Tomaten beim NDR eine ganze Dokumentation gewidmet wurde.
Eine promovierte Chemikerin mit dem Kult-Bratwurststand Piske – ebenfalls aus der Presse bekannt. Neuerdings tummeln sich hier auch echte »Start ups« (Gründer). Stephan Kahnert und Adrian Markiefka haben nach ihrer Schulzeit neben der Arbeit eine Likörschmiede eröffnet und wollen später einmal Wolfenbütteler Whisky brennen. Auf dem Markt wollen sie sich den Grundstock für ihre Zukunft schaffen. Ich liebe den Markt. Wenn ich samstags Zeit habe, dann ist das ein Programmpunkt, der nicht fehlen darf.
Frisches Gemüse und Obst, eine Bratwurst, Käse und Wurstspezialitäten, vielleicht einen leckeren Saibling – und das alles ganz in Ruhe bei diesen und vielen anderen Ständen die mittwochs und samstags den Stadtmarkt in eine »Shoppingmall« verwandeln – in ein Freiluft-Einkaufszentrum. Und das auf einem Platz um den geduldig neben seinem Pferd posierenden Herzog August, der zu jeder Jahreszeit Charme hat – der Platz und der Herzog natürlich – und auf dem sich an diesen Tagen so herrlich bummeln lässt.
Wenn ihr noch mehr Infos über den Wochenmarkt, die Stände und die Menschen dahinter erfahren wollt, dann schaut doch mal auf wolfenbuettel.de vorbei.
Termine
- Mittwochs 7 bis maximal 13 Uhr
- Samstags 7 bis maximal 13 Uhr
- Ort: Stadtmarkt Wolfenbüttel
- an Feiertagen wird der Wochenmarkt um einen Tag verlegt
Mehr Tipps zum regionalen Einkauf, findet ihr hier auf dem Blog:
Bio, regional und fair einkaufen
10 Gedanken zu “Der Wolfenbütteler Markt – unser Einkaufszentrum”