Emilia Rätscher von Schaft und Leisten, Schusterei Janke.

Die Adresse für Schuhliebhaber – »Schaft & Leisten«

Emilia Rätscher ist eine lustige Frau und hat eine Vorliebe für schöne Schuhe. Sie ist Meisterin im Schuhmacher-Handwerk. Am 2. Januar 2019 übernahm sie den Betrieb der Schuhmacherei Janke in der Wolfenbütteler Innenstadt.

Heute bin ich mit ihr verabredet und neugierig darauf zu erfahren, wie sie sich in ihrem Traumberuf verwirklichen konnte …

Neben der St. Trinitatiskirche werden Schuhe maßgefertigt und repariert.
Neben der St. Trinitatiskirche werden Schuhe maßgefertigt und repariert. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Fröhlich und gut gelaunt

Als ich das Eckgeschäft neben der St. Trinitatiskirche betrete, werde ich sofort mit einem strahlenden Lachen von der Inhaberin begrüßt. Das Geschäft wirkt urig und passt perfekt zu dem alten Handwerk des Schuhmachers.

Momentan hat sie viele Aufträge zu erledigen, aber ganz selbstverständlich nimmt sich Emilia Rätscher Zeit für unser Gespräch. Sie ist fröhlich und gut gelaunt. Ich kann sie mir gut vorstellen, wenn sie sich nach der Arbeit ihre Tanzschuhe schnürt und in Wolfenbüttel zum Linedance geht. Dort findet sie ihren Ausgleich von einem stressigen Beruf.

Trotz der exklusiven Maßschuhe hat die Reparatur noch einen großen Stellenwert in der Schuhmacherei »Schaft & Leisten«.
Trotz der exklusiven Maßschuhe hat die Reparatur noch einen großen Stellenwert in der Schuhmacherei »Schaft & Leisten«. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Ein Beruf, den sie liebt und der immer ganz oben auf ihrer Wunschliste stand. Emilia Rätscher arbeitet seit 15 Jahren als Schuhmacherin an der St. Trinitatiskirche in Wolfenbüttel.

Bis dahin war es ein weiter Weg. Nicht nur geografisch. Denn die Schuhmachermeisterin kommt aus Rumänien. Dort wuchs sie auf und machte eine Ausbildung – zum Schaft-Bauer.

Das Thema Schuhe ist also nicht neu für sie. »Das war ein Industriebetrieb, der im großen Stil Schäfte herstellt. Das war damals ein Beruf mit Aussicht«, erinnert sich Emilia Rätscher, während im Hintergrund fleißig gehämmert und genäht wird.

In der Werkstatt von Emilia Rätscher kann es auch mal richtig laut werden.
In der Werkstatt von Emilia Rätscher kann es auch mal richtig laut werden. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Abenteuer Auswanderung

Vielleicht hätte sie die Lehre in dem Betrieb zu Ende gemacht, wenn nicht ihr jetziger Mann nach Rumänien in den Urlaub gefahren wäre.

Er ist Siebenbürger Sachse und besuchte seine Eltern in der alten Heimat. Die beiden trafen und verliebten sich. »Früher waren Rumänen und Siebenbürger ja mehr getrennt. Aber das gab es zu dieser Zeit schon nicht mehr«, so Rätscher. »Ohne meinen Mann hätte ich das alles nie geschafft«, räumt sie ein.

Für die Arbeit am Schuhwerk wird ein ruhiges Händchen gebraucht.
Für die Arbeit am Schuhwerk wird ein ruhiges Händchen gebraucht. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Die Liebe macht alles möglich. Sogar, dass sie ihre Heimat verlässt. Deshalb stürzte sich Emilia Rätscher mit ihrem Mann in das Abenteuer Auswanderung. Das war 1995.

»Ich hatte erst so gar nicht recht die Traute, in einen Deutschkurs zu gehen«, räumt sie ein. Mit dem Duden ausgerüstet und mit Übungen lernte und lernte sie. Sogar zu Hause am Küchentisch wurde mit ihrem Mann fleißig geübt.

Wunsch nach Selbstständigkeit

Emilia Rätscher freut sich rückblickend, dass sie in Deutschland so gut aufgenommen wurde. Nach einem Jahr fing sie bereits an in einer Wäscherei zu arbeiten.

Emilia Rätscher hat den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt.
Emilia Rätscher hat den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

»Dort habe ich immer viel nachgefragt und mir von meinen geduldigen Kolleginnen vieles erklären lassen«, verrät sie mir dankbar. In dieser Zeit seien ihre Unsicherheit und ihre Hemmschwelle zu sprechen gefallen. Wenn ich heute mit ihr rede, ist nur noch ein sympathischer Akzent zu hören.

Schon da war ihr klar: »Ich wollte mich selbstständig machen«. Sie lacht herzlich. Ihre gute Laune mag ihr die Kraft gegeben haben, die Hürden bis zu ihrem Ziel zu überwinden.

Im Hintergrund läuft Gute-Laune-Musik.
Im Hintergrund läuft Gute-Laune-Musik. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

1998 lernte sie Ulrich Janke bereits bei einem Praktikum kennen. Mit einer Lehre sollte es aber zunächst erst mal nichts werden. Emilia Rätscher ließ sich davon aber nicht entmutigen.

Auf einem Umweg zum Schuhmacher

Deswegen absolvierte sie bei der Oskar-Kämmer-Schule zunächst ein Eingliederungsjahr mit einer Schneiderlehre. »Das war zwar nicht mein Traum. Aber genäht habe ich auch schon immer gern«, freut sie sich.

Sie lernte Fachbegriffe und paukte Grammatik. »Die Schulbank habe ich auf jeden Fall lange genug gedrückt. Viel zu lange«, meint sie augenzwinkernd.

Mit allerlei Werkzeug wird repariert und gefertigt.
Mit allerlei Werkzeug wird repariert und gefertigt. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Da sie zu Hause nur Deutsch spricht, sei Rumänisch für ihre Tochter nicht mehr präsent. Das sei bedauerlich, denn deswegen sei ein Gespräch mit der Oma beispielsweise schwierig.

Jedes Jahr im Sommer zieht es die Familie Rätscher in ihre alte Heimat zurück. »Aber das ist dann wohl der Preis für die Integration«, meint sie. Und vielleicht lerne ihre Tochter ja später die Sprache ihrer Eltern.

Vom Schneider zum Schuhmacher

Die Schneiderlehre absolvierte Emilia Rätscher und begab sich gleich wieder auf die Schulbank, denn sie wollte Meisterin werden.

Aber da machte ihr das Schicksal dieses Mal einen Strich durch die Rechnung. Ulrich Janke bot ihr an als Näherin in seiner Schuhmacherei zu arbeiten. Emilia Rätscher überlegt nicht lange und stimmte zu. Ihr lang ersehntes Ziel vor Augen.

Am Ziel der Träume: Die Meisterprüfung.
Am Ziel der Träume: Die Meisterprüfung. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Schließlich wurde sie gefragt, ob sie sich denn nicht zur Schuhmacherin ausbilden lassen wolle. »Bei Jankes gab es keinen Nachfolger für das Geschäft. Also wurde ich damit konfrontiert«, erinnert sie sich.

Wieder stürzte sich Emilia Rätscher in ein neues Abenteuer und absolvierte eine Schuhmacherlehre. Anschließend besuchte sie die Meisterschule.

Schuh-Spezialist

Nachdem sie alle Prüfungen bestanden hatte spezialisierte sie sich im Betrieb darauf, etwas Besonderes herzustellen: Maßschuhe.

»Ich mag es, wenn die Kunden mit ihren Ideen und Vorstellungen kommen und wie sich dann innerhalb eines halben Jahres das Projekt Maßschuh verwirklicht«, schwärmt Emilia Rätscher.

Die Anfertigung eines Maßschuhes dauert etwa ein halbes Jahr.
Die Anfertigung eines Maßschuhes dauert etwa ein halbes Jahr. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Zwei verschiedene Gruppen seien das, die sich diesen Luxus leisten:

  1. Schuh-Liebhaber, die sich bei jedem Schuhkauf immer weiter nach oben orientierten, bis sie sich dann an den ganz eigenen, individuellen Schuh heranwagten.
  2. Kunden, die sich aufgrund der Beschaffenheit ihrer Füße einfach Mal etwas Besonderes leisten wollten. »Da sind die Füße unterschiedlich groß oder zu schmal oder zu breit«, erklärt mir Emilia Rätscher. Der Maßschuh soll endlich für Ruhe beim Schuhkauf sorgen.

Bei dem Schuh nach Maß wird der Leisten individuell angemessen. Mit Zeichnungen oder Modellbeispielen werden Möglichkeiten erwogen. Das Ganze wird schließlich mit einem anderen Betrieb, der die Schäfte für die Schuhmacherei Janke herstellt, bis zum fertigen Schuh durchgearbeitet. So ein Maßschuh halte eine kleine Ewigkeit, wenn er gut gepflegt werde.

Neue Verantwortung

Seit Anfang dieses Jahres ruht die Verantwortung für den Betrieb auf den Schultern von Emilia Rätscher. »Das ist doch ein größerer Schritt gewesen als ich das bisher dachte«, räumt sie fröhlich ein.

Aber die Aufgabe meistere sie auch noch. Und außerdem kämen die Jankes ja zwei Mal in der Woche vorbei. »So können wir uns beide an die neue Situation gewöhnen«, meint sie.

(Fast) alles wird repariert.
(Fast) alles wird repariert. © Andreas Molau, Stadt Wolfenbüttel

Schließlich kann sich Emilia Rätscher über eine gute Belegschaft freuen. Zwischen allen Beteiligten herrscht eine gelöste Stimmung. Es wird viel gelacht. »Ich muss jetzt noch bei den Kunden als Nachfolgerin ankommen. Aber das hat schon gut angefangen«, ist sie zuversichtlich.

Ihr Handwerk versteht sie. Nur das ausgeprägte Namensgedächtnis ihres alten Chefs konnte sie nicht übernehmen. Er kannte fast jeden Kunden mit Namen. Daran könne sie noch üben, meint sie.

Bei der guten Laune kann ich mir vorstellen, dass niemand böse ist, wenn Emilia Rätscher einmal mehr nach dem Namen fragen wird.

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