Pöligs Gemüsescheune ist ein kleiner Markt in Wolfenbüttel. Und weil der große mit seinen mobilen Ständen traditionell mittwochs und samstags etabliert ist, macht Hans-Martin Pölig seine Tore dienstags und freitags auf.
Ich treffe mich mit dem Gemüsegärtner an einem Mittwoch. Es war wieder trubelig, lächelt mich das Wolfenbütteler Urgestein an. Urgestein, denn im Gegensatz zu mir ist er hier nicht nur aufgewachsen. Seine Familie bearbeitet den guten Boden rund um die Lessingstadt seit sechs oder sieben Generationen.

Die Geburtsstunde der Gärtnerstadt
Wir sitzen vor dem Wohnhaus, das sich direkt hinter der Scheune befindet, die Woche für Woche Genießer aus der näheren und weiteren Umgebung herlockt. Über uns hängen getrocknete Gewürzbünde. Ein alter Küchenschrank steht an der Hauswand.
Als der Herzog Mitte des 18. Jahrhunderts wieder nach Braunschweig gegangen sei, hätten seine Hofbeamten ein Stück Land vor dem Herzogtore bekommen. Das war die Geburtsstunde der Gärtnerstadt Wolfenbüttel. Hans-Martin Pöligs Vorfahren waren dabei. Gemeinsam prägten die Gemüsebauern das Bild der Stadt.

Eine große Familie
So war es, dass er in einer »großen Familie« aufwuchs. Denn in seiner Kindheit, den 70er Jahren, habe es kein gegeneinander zwischen den Kollegen gegeben. »Man konnte eine große Geborgenheit spüren«, berichtet er von einer Zeit, als die Uhren noch langsamer gingen.
Da war die Schulzeit, die Stunden, in denen er für den WSV kickte. »Ich erinnere mich noch, wie wir an der Tür einer Frau in der Nähe des Fußballplatzes immer Gummitiere und Sinalco nach dem Training holten. Das war zwar eigentlich ein Privathaushalt und doch gleichzeitig ein kleiner Kiosk für uns.«

Der Weg zum Gemüsegärtner
Ob es denn mal die Überlegung gegeben hätte, etwas anderes zu machen, als Gemüse anzubauen. Hans-Martin Pölig überlegt einen Augenblick und lächelt: »Ja, das gab es. Ich hatte mich nach der Schule als Landmaschinenbauer beworben. Ich bekam eine Absage. Der Chef war ein Freund meines Vaters. Ich denke mein Vater wird das schnell geregelt haben.«
Im Nachhinein grollt Hans-Martin Pölig aber nicht. Es sei die richtige Entscheidung gewesen. Die Verbindung mit dem Hof des Vaters war doch zu tief. Als Kind schon habe er auf dem Trecker gesessen. Beim Schulabschluss düste er mit einem Freund stolz über den Schulhof.

Durch die Welt wieder nach Hause
Und spätestens bei der Lehre in Celle sei ihm klar geworden, wie erfüllend es sein kann, so mit der Erde zu arbeiten. Als Lehrling habe er über die Woche mit Familienanschluss in der Stadt gelebt, die das Tor zur Lüneburger Heide öffnet. Viel gelernt habe er in dieser Zeit.
Die Lehre ging 1988 zu Ende. Dann kam die Bundeswehrzeit. Anschließend ging Hans-Martin Pölig nach München. »Ich sollte noch herumkommen«, erinnert er sich. In diese Zeit fiel ein Schicksalsschlag. Der Vater starb. Die Familie habe ihm zwar die Freiheit gegeben, weiter in München zu bleiben. Aber Pöligs Entschluss stand fest.

Ich werde hier gebraucht
»Ich hatte das Gefühl, ich werde hier gebraucht«, berichtet er. Damals war er 21. Die Wende kam. Das war wieder so ein Ereignis, das sein Leben verändern sollte. Zuvor standen die Wolfenbütteler Gärtner trotz des Strukturwandels in der Landwirtschaft noch gut da.
Es gab eine Vermarktungsgenossenschaft, die einen hundertprozentigen Absatz der Produkte garantiert habe. Die Belieferung West-Berlins mit frischem Gemüse war eine feste Bank, die mit der Öffnung der Grenze abhandenkam. Viele Betriebe wurden in der kommenden Generation nicht mehr weiter geführt.

Das Experiment
Hans-Martin Pölig, der nach einigen Jahren den Betrieb von seiner Mutter dann übernommen hatte, hielt durch. Und nicht nur das. 2001 gab es wieder ein wichtiges Ereignis. Beim alljährlichen Gemüsetag lauschte er dem Vortrag eines Gärtnerbetriebes.
Vor den Toren des Ruhrgebietes hatte ein Kollege ein Experiment gewagt. Die Lösung hieß Selbstvermarktung. Aus einer Bushaltestelle sei ein Umschlagplatz für Gemüse, Backwaren und Fleisch geworden. Nach Hause gekommen, setzte sich Hans-Martin Pölig an den Schreibtisch und entwarf einen Fragebogen.

Umstellung von groß auf klein
Würde auch in seinem Umfeld das Interesse an der Direktvermarktung bestehen? »Die Reaktionen hatten mich ermutigt. Gut 50 % der Handzettel kamen zurück. Dann habe ich mich in das Abenteuer gestürzt«, berichtet er. Eine große Umstellung sei das gewesen.
»Wenn ich früher 10.000 Salate in einer Woche geerntet habe, sind es heute noch 2.500 in zwei. Das sind ganz andere Dimensionen«, erklärt er. Aber diese Herausforderung hat er angenommen: Verkleinerung der Fläche, Sortenvielfalt und der Weg vom Gärtner zum Anbieter.

Das Projekt Gemüsescheune erweitert sich
Das Projekt Pöligs Gemüsescheune wuchs von da an. Dass Hans-Martin Pölig einen offenen Blick hat und kooperieren kann, erwies sich als Erfolgsrezept. Statt selbst alles in die Hand zu nehmen, fand er Menschen, die mit ihren Ideen den Standort bereicherten. Da waren zunächst Freunde, die pfälzischen Wein mitgebracht hatten.
Daraus wurde das Winzer Eck. Da die Kunden nicht nur Wein trinken mochten, besorgte der Gemüsegärtner irgendwann die ersten Kästen Bier. Dann wurde ein Grill aufgestellt. Und allmählich wurde aus dem Verkaufs- ein Erlebnisraum. Inzwischen ist ein abwechslungsreiches Speisenangebot mit Burgern (auch vegetarisch), Bratwurst, Pommes oder Tapas dazu gekommen.

Alles ist rund
»Bestimmt könnte man noch mehr machen. Aber der Hof stößt jetzt schon an seine Kapazitätsgrenzen«, erklärt Pölig zufrieden. Dass er auf die Direktvermarktung umgestellt hat, bereut er keinen Augenblick. Und nicht zuletzt das große Rahmenprogramm sorgt dafür, dass er seinem Kerngeschäft mit Leidenschaft weiter nachgehen kann.
Im Internet können die Freunde frischen Gemüses mithilfe einer Ampel sehen, welche Sorten es gerade gibt und worauf man warten muss. Wichtig ist Hans-Martin Pölig die Qualität der Produkte. Das schmeckt man und sorgt dafür, dass sein kleiner Laden immer voll ist.

Berufliche und private Zukunft
Und das, obwohl die Supermärkte alles tun, um diesen Markt zu beherrschen. So sorgt der Gemüsegärtner mit dafür, dass ein Stück der Wolfenbütteler Stadtgeschichte im 21. Jahrhundert nicht nur Museum ist, sondern gelebte Zukunft: nachhaltig und lecker zugleich.
Für seine eigene Zukunft sorgte Hans-Martin Pölig trotz all der Arbeit. Letztes Jahr heiratete er seine große Liebe. »Meine Manu ist mir auch eine Stütze bei der Arbeit und das Herz des Betriebes.« Wir gehen noch ein bisschen über das Gelände, am Gewächshaus vorbei, wo die Tomaten leuchten.

Weitere Informationen zu Pöligs Gemüsescheune
• Adresse: Alter weg 44, 38302 Wolfenbüttel
• Telefon: 05331 – 76594
• eMail: hans@poelig-wf.de
• Öffnungszeiten auf der Internetseite von Pöligs Gemüsescheune
3 Gedanken zu “Pöligs Gemüsescheune: Treffpunkt für Genießer”