Zu Besuch im Kunstverein Wolfenbüttel

Es ist ein warmer Sommertag und die 1. Lange Nacht der kleinen Museen in Wolfenbüttel. Mit dem Rad fahre ich in die Altstadt und steuere das unscheinbare Gebäude in der Reichsstraße 1 an. Direkt gegenüber der Hauptkirche befinden sich die Räumlichkeiten des Kunstvereins. Ich bin schon unzählige Male daran vorbeigelaufen, manchmal habe ich einen Blick durchs Fenster geworfen, manchmal war der Raum leer, manchmal habe ich einen Blick auf die aktuelle Ausstellung erhascht. Noch nie war ich drin. Das will ich heute ändern.

Der Geistreiter – mein erster Kontakt mit dem Kunstverein

Der Kunstverein in Wolfenbüttel existiert schon seit über 45 Jahren. Das erste Mal wahrgenommen habe ich ihn 2011. Damals tauchte über Nacht ein Geistreiter auf dem Herzog August Denkmal auf dem Stadtmarkt auf. Ohje, ich erinnere mich noch sehr gut an diese sehr umstrittene Aktion. Viele Menschen haben damals nicht verstanden, was der Reiter auf dem Rücken des herzoglichen Pferdes zu suchen hatte und waren gar nicht begeistert, dass „ihr“ Denkmal so verschandelt wurde.

Was die Künstler Ulrich Genth und Heike Mutter erreicht haben: In ganz Wolfenbüttel wurde darüber gesprochen. Ich glaube, so eine Aufmerksamkeit hat selten ein Kunstobjekt in Wolfenbüttel erfahren. Und ist es nicht genau das, was Kunst erzeugen möchte? Das wir über sie sprechen? Das wir uns mit ihr auseinandersetzen möchten?

Was ist Kunst und warum braucht Wolfenbüttel einen Kunstverein

Bei meinem Besuch im Kunstverein habe ich Stine Hollmann getroffen. Sie ist seit 2019 Geschäftsführerin des Kunstvereins und ihre sympathische Art ist überhaupt der Grund, weshalb ich meine Schwellenangst heute überwinde und erstmals einen Fuß in die Räumlichkeiten setze. Ich habe sie gefragt, was Kunst für sie ausmacht und wieso Wolfenbüttel einen Kunstverein braucht:

Der Kunstverein ist eine der wenigen Institutionen in der oft als „Musikstadt“ bekannten Stadt Wolfenbüttel, die so kontinuierlich Bildende zeitgenössische Kunst in die Stadt bringt und damit professionell arbeitende Künstlerinnen und Künstler, die abseits des globalen Kunstmarktes agieren, fördert. (Zeitgenössische) Kunst spiegelt und kommentiert unsere Zeit – ob konkret bezugnehmend auf politische, gesellschaftliche, technische Entwicklungen oder ästhetisch – im Umgang mit dem Material und der Formfindung wird oft auf unser zeitgenössisches Geschehen Bezug genommen.

Die Eröffnungen, Konzerte, Tanzperformances etc. können als Veranstaltung eine sehr kommunikative und auch gesellige Erfahrung sein, aber die Kunsterfahrung an sich ist etwas sehr subjektives; ein Geschenk, wenn das Werk zu dir spricht und man selbst als Betrachtender manchmal erst viel später merkt, dass man es selbst ist, der durch das Werk spricht.

Es ist auch nicht bei jeder Ausstellung so, dass Werke in der Form zu mir sprechen. Aber jedes Werk, jede Künstlerin, jeder Künstler erzählt mir etwas, bereichert meinen Erfahrungshorizont, meine Wahrnehmung.

Wir lernen durch die Kunst etwas über uns selbst als auch voneinander – über unsere Wahrnehmung, aber auch über unsere eigene Toleranz und Intoleranz. Kunst (im Allgemeinen) ist für mich eine geistige, seelische oder körperliche Erfahrung, die das Funktionsgefüges des Alltags, abseits von Kategorien wie richtig und falsch und binären Kategorien wie Eins und Null, durcheinanderbringt; ein Raum der Freiheit, den ich auch als inspirierende Ergänzung zu den anderweitig organisierten Räumen und Strukturen empfinde, in denen wir uns geistig und körperlich aufhalten. Es ist für mich – wie sportliche Betätigung für den Körper – eine Art ausgleichendes Lebenselixir für den Geist und die Seele und vielleicht auch etwas Kathartisches…  man lernt über sich selbst, man schenkt sich Zeit.

Stine Hollmann, Kunstverein Wolfenbüttel

Schwellenangst abbauen – Kunst tut nicht weh

Die Räume des Kunstvereins bei einer früheren Ausstellung. Foto: Anna Meurer

Ein paar Wochen vor der 1. Langen Nacht der kleinen Museen hatte ich einen Mailwechsel mit Stine Hollmann und sie lud mich zur Eröffnung der damaligen Ausstellung „backyard“ von Paloma Riewe ein. Der Termin passte mir nicht, aber im Flyer entdeckte ich den Begleitworkshop. „Der offene Workshop soll den Teilnehmenden die Möglichkeit bieten, Einblicke in die Planung und den Prozess von der Idee bis zum fertigen Werk zu bekommen. Wir werden kleine freie Modelle herstellen und gemeinsam darüber nachdenken welche Konsequenzen es gäbe, wenn man das Modell im Großen umsetzen würde.“ Das versprach das Programmheft. Meine Neugierde war geweckt. Denn auch wenn ich keine Ahnung von Kunst habe, habe ich durchaus Freude und Interesse an kreativen Prozessen.

Muss man Kunst verstehen?

Mein Besuch im Kunstverein beginnt mit einer kleinen Führung durch die Ausstellung. Neben Stine Hollmann ist auch Lucila Pacheco-Dehne dabei, die den späteren Workshop begleitet und die ausstellende Künstlerin von der Hochschule in Braunschweig persönlich kennt. Die Besuchergruppe an diesem warmen Samstagabend ist um 18 Uhr noch sehr klein. Neben mir ist nur ein weiteres Pärchen dabei. Ich bin erstaunt über den Altersschnitt. Alle anwesenden sind unter 40 – das hätte ich ehrlicherweise nicht erwartet.

Die Ausstellungsräume sind ebenfalls klein. In drei Räumen präsentiert Paloma Riewe ihre Werke. Wir erfahren Hintergründe, diskutieren gemeinsam, was wir in den Objekten sehen, Lucila und Stine geben ihre Eindrücke wieder, was die Kunst mit ihnen macht. Ich selbst finde vor allem den handwerklichen Aspekt spannend. Wie aus kleinen Modellen große Objekte werden, wie altes Holz zu neuen Kunstwerken wird. Wäre ich allein in den Räumen, hätte ich vieles nicht verstanden, vieles nicht gesehen. So ein kleines bisschen an die Hand genommen zu werden, tut mir ganz gut. Ob man Kunst wirklich verstehen muss, weiß ich nach meinem Besuch immer noch nicht. Ich glaube, das Spektrum ist so vielfältig und die Frage „Was wollte mir der Künstler damit sagen“ muss jeder auch einfach für sich selbst beantworten. Aber in dem Moment, wo wir uns diese Frage stellen, darüber diskutieren, ist vielleicht schon das Ziel erreicht.

Wer stellt hier aus?

Doch wie kommt man eigentlich dazu, hier im Kunstverein auszustellen. Wer wählt die Künstlerinnen und Künstler aus? Auch das hat mir Stine Hollmann erzählt:

Unser Programm wird weitestgehend aus den eingehenden Bewerbungen von Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland und auch mal Frankreich, Schweiz, Österreich zusammengestellt. Auch laden wir Künstlerinnen und Künstler konkret ein, sich bei uns zu bewerben, wenn wir deren Werke in Ausstellungen in anderen Häusern sehen oder auch beispielsweise über Instagram auf sie aufmerksam werden. Wir, das sind der Vorstand, der künstlerische Beirat und ich als Geschäftsführung, insgesamt bei Vollbesetzung neun Personen. Gemeinsam sind wir also das „Kuratorium“ – es gibt keine Einzelperson, keine künstlerische Leitung, die hier entscheidet, was gezeigt wird und was nicht. Letztlich kann sich also jeder bewerben, wobei wir beim Gesamtprogramm auch auf Vielfalt in Themen, Medien, Gattungen achten und mindestens deutschlandweit und nicht nur regional denken.

Stine Hollmann, Kunstverein Wolfenbüttel

Kunst zum Selbermachen

Der eigentliche Grund für meinen Besuch im Kunstverein ist der Workshop. Nach unserer Führung begeben wir uns dafür in den Hinterhof. Bei den sommerlichen Temperaturen ist das ein wunderschöner Ort. Aufgebaut ist ein „Buffet“ aus Bastelmaterialien. Ein bisschen Kindergeburtstagsfeeling kommt auf. So ganz falsch ist der Eindruck nicht, denn solche Workshops werden natürlich auch für jüngere Zielgruppen angeboten.

Nun kommt die spannende Frage: Was wollen wir für ein Objekt entstehen lassen. Wir schauen uns erstmal ratlos an, bewaffnen uns jeweils mit ein paar Utensilien und schieben sie von links nach rechts. Und so langsam entstehen Ideen in unseren Köpfen. Ich finde diesen Prozess spannend. Aus Gebilden, die nach nichts aussehen, werden tolle Ideen. Im Prozess verändern sich die Objekte von puristisch zu bunt. Wir basteln vor uns hin, unterhalten uns über unsere bisherigen Berührungspunkte zu Kunst, darüber wie sinnvoll es ist, Kunstunterricht in der Schule zu benoten und haben einfach eine ziemlich entspannte Zeit.
Während wir unsere fertigen Objekte fürs Foto in Szene setzen, überlegen wird, ob und wie man diese in groß konstruieren könnte und wie diese präsentiert werden sollten.

Stine Hollmann kommt kurz vorbei und bewundert unsere Ergebnisse, bevor sie schnell zurück in die Ausstellung eilt, wo den ganzen Abend immer wieder Besucher der 1. Langen Nacht der kleinen Museen eintrudeln und sich durch die Ausstellung führen lassen.

Mein Fazit: Kunst macht Spaß. Ich werde wohl nie eine Kunstkennerin, aber ich werde öfter versuchen, mich darauf einzulassen und bestimmt auch mal wieder einen Fuß in den kleinen aber feinen Kunstverein setzen. Vielen Dank an Stine Hollmann, dass ich diese Erfahrung machen durfte.

Welche Erfahrungen habt ihr mit Kunst? Besucht ihr Ausstellungen? Geht ihr in Galerien?

Mehr zum Kunstverein Wolfenbüttel

Der Kunstverein Wolfenbüttel ist kein Museum. Es gibt also keine Dauerausstellung. Schaut am besten auf der Internetseite vorbei. Dort findet ihr eine Übersicht des Jahresprogramms sowie die Öffnungszeiten: Jahresübersicht Kunstverein Wolfenbüttel

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