Pärchen im Wolfenbüttel der 50er und 60er Jahre

Zeitreise in die Kindheit meiner Eltern

Schon vor einiger Zeit gab es im Schloss Museum Wolfenbüttel eine Sonderausstellung zu den 50er und 60er Jahren. Auch wenn die Ausstellung längst vorbei ist, empfehle ich euch ein bisschen weiter zu lesen, denn inzwischen gibt es ein neues tolles Museum in Wolfenbüttel, welches sich genau mit dieser jüngeren Geschichte Wolfenbüttels befasst: Das Bürger Museum. Dort geht es natürlich nicht nur um die 50er und 60er Jahre, sonder ihr könnt noch viel mehr erfahren. Schaut mal rein, der Eintritt ist frei. Und jetzt erstmal viel Spaß bei meinem Erlebnisbericht aus den 50er und 60er Jahren:

Im Radio läuft der Ostergottesdienst, doch ich stimme mich mit Elvis Presley auf den Tag ein. Um ehrlich zu sein, musste ich erst mal nachschauen, ob Elvis tatsächlich zu meinem heutigen Tagesprogramm passt, doch wie ich Wikipedia entnehmen kann, startete er seine Karriere 1954. Das passt! Denn statt ausgedehntem Osterfrühstück mit der ganzen Verwandtschaft stehen bei mir heute die fünfziger und sechziger Jahre auf dem Programm. Ich will mir die Sonderausstellung im Schloss Museum Wolfenbüttel dazu anschauen.

Eigene Erinnerungen an diese Zeit kann ich nicht vorweisen doch ich vermute, dass mir das eine oder andere aus den Erzählungen meiner Eltern bekannt vorkommen wird, die in dieser Zeit aufgewachsen sind – wenn auch nicht in Wolfenbüttel. Da mir das Lesen von Ausstellungstafeln nicht sonderlich liegt, habe ich mich telefonisch für eine Führung durch die Ausstellung angemeldet.

Fotokulisse Schloss Wolfenbüttel

Als ich um kurz vor 11 Uhr vor dem Schloss eintreffe, wirkt es ein bisschen wie inszeniert, dass ich gegenüber einem Auto mit historischem Kennzeichen parke, welches nach meiner Einschätzung durchaus in die Zeit gepasst hätte – wobei ich dazu sagen muss, dass ich mich mit Autos überhaupt nicht auskenne, vielleicht ist das Auto auch viel jünger. Leider ist das Wetter etwas trüb, sonst hätte ich die Gelegenheit gleich für ein paar schöne Schnappschüsse unseres Welfenschlosses genutzt. Im Schlossinnenhof scheint jemand eine andere Meinung über das Wetter zu haben: Ein Pärchen wird von einem Fotografen professionell in Szene gesetzt.

Das Museum befindet sich im ersten Obergeschoss und obwohl ich noch früh dran bin, bin ich die letzte Teilnehmerin, die zur Führung eintrifft. Deutsche Pünktlichkeit lässt grüßen! Wir sind eine kleine Gruppe und ich behaupte, dass alle Teilnehmer außer unserem Museumsführer Sebastian Mönnich und mir die 50er und 60er Jahre auch miterlebt haben.

Von der Straßenbahn zur Fußgängerzone

Im Gang zu den eigentlichen Ausstellungsräumen hängen Bilder, die Wolfenbüttel in den 50er und 60er Jahren zeigen. Auf einem Bild fährt noch die Straßenbahn durch die Innenstadt, auf dem nächsten Bild stehen parkende Autos vor der Kneipe „Alt Wolfenbüttel“, die heute mitten in der Fußgängerzone liegt. Die Bilder verdeutlichen die rasante Entwicklung, die durch die Motorisierung erfolgte. 1954 fuhr die letzte Straßenbahn zwischen Wolfenbüttel und Braunschweig und wurde dann durch Omnibusse abgelöst.

Im gleichen Jahr wurde auch die Bundesstraße 4 fertig gestellt, die damals am Schwimmbad und Theater vorbei führte. Um die Reisenden gastronomisch zu versorgen, gab es am Stadtbad eine Gaststätte. Diesen Teil der Geschichte habe ich in Gesprächen mit alteingesessenen Wolfenbüttelern schon öfter gehört. Ich finde es auch immer wieder komisch mir in der Fußgängerzone vorzustellen, dass dort mal eine Straßenbahn fuhr und  frage mich manchmal, wie sich Wolfenbüttel entwickelt hätte, wenn man das damals beibehalten hätte.

Die Stadtbad Gaststätte vor dem Schwimmbad existiert heute nicht mehr. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel
Die Stadtbad Gaststätte vor dem Schwimmbad existiert heute nicht mehr. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel

In Erinnerungen schwelgen

Gleich die erste Vitrine sorgt bei den anderen Teilnehmern für zustimmendes Kopfnicken und erste Erinnerungsanflüge. Ich stelle fest, dass ich eindeutig zu jung bin, um hier mitreden zu können. Doch dann kommt die Sprache auf das Dr. Oetker Backbuch und ich bin wieder dabei. Das kenne ich von meiner Mutter, die pflegt das inzwischen total zerfledderte Exemplar meiner Oma, das noch jede Menge handschriftliche Notizen enthält.

Schöner Wohnen

Sebastian Mönnich erzählt uns, dass das Wohnzimmer eine zentrale Rolle in der Nachkriegszeit gespielt hat. Familienfeiern und Feste wie Weihnachten und Ostern feierte man Zuhause. Nach den Entbehrungen der Kriegsjahre sollte sich die neue Lebensqualität vor allem in den eigenen vier Wänden zeigen. Ein helleres und leichteres Möbeldesign hielt Einzug und der Nierentisch startete seinen Siegeszug durch die Wohnzimmer der Deutschen.

Die Wohnzimmermöbel werden heller und luftiger. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel
Die Wohnzimmermöbel werden heller und luftiger. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel

Mir fällt auf, dass viele Dinge in den Vitrinen stehen, die man heute als Kitsch bezeichnen würde. Zigarettenhalter zum Beispiel, mit denen man seinen Gästen stilvoll nach dem Essen die Zigaretten anbieten konnte. Vielleicht wäre das in Zeiten von Warntexten auf Zigarettenschachteln heute sogar wieder ein Geschäftsmodell.

Trinkgläser in verschiedenen Formen und Größen mit passendem Ständer und kleine Flaschen oder Flaschenverschlüsse in allen erdenklichen Formen werden ausgestellt. Nicht nur in Wolfenbütteler Wohnzimmern durfte natürlich auch der Jägermeister nicht fehlen. Insgesamt scheint um den Genuss von Alkohol und Zigaretten zu dieser Zeit viel Aufhebens gemacht worden zu sein. Vielleicht haben aber auch nur besonders viele Leute diese Kuriositäten aufgehoben. Wie Sebastian Mönnich uns berichtet, ist die eine oder andere Flohmarktentdeckung bei Sammlern durchaus noch zu Geld zu machen.

Jägermeister war damals zwar noch eher Altherrengetränk, aber schon sehr erfolgreich. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel
Jägermeister war damals zwar noch eher Altherrengetränk, aber schon sehr erfolgreich. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel

Musik liegt in der Luft

Das Wirtschaftswachstum in den 50er und 60er Jahren macht sich auch in Wolfenbüttel bemerkbar. Insbesondere durch den Einzug von Musiktruhen in die deutschen Wohnzimmer, wird von Gerhard Kubetschek Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Seine Tonmöbel der 1948 gegründeten Firma sind so erfolgreich, dass er 1954 bereits die Produktionsstätten ausweiten muss und sein Unternehmen 1966 für 80 Millionen D-Mark an den amerikanischen Konzern General Electric verkaufen kann. Sebastian Mönnich kann hier mit Anekdoten seines Großvaters punkten, der in dieser Zeit im Kundendienst von Kuba gearbeitet hat, und hat ein paar Lacher auf seiner Seite.

Nicht nur in Wolfenbütteler Wohnzimmern wurde nach Musik aus Kuba-Tonmöbeln getanzt. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel
Nicht nur in Wolfenbütteler Wohnzimmern wurde nach Musik aus Kuba-Tonmöbeln getanzt. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel

Kinder, Küche, Kirche

Der Platz der Frau war Anfang der 50er Jahre eindeutig noch am Herd. Sie konnte sich aber über technische Neuerungen freuen. Kühlschränke wurden populär und wir können auch eine alte Spülmaschine bestaunen. Eine Vitrine zeigt noch weitere mehr oder weniger nützliche Küchenhelfer wie Eierschneider, Tauchsieder und die ersten Vorläufer der heute angesagten Küchenmaschinen wie Thermomix oder Kitchenaid. Die Rolle der Frau und ihre zunehmende Emanzipation wird in einem weiteren Raum der Ausstellung ausführlicher behandelt.

Technischer Fortschritt in der Küche: Rechts die Waschwanne und daneben eine alte Geschirrspülmaschine. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel
Technischer Fortschritt in der Küche: Rechts die Waschwanne und daneben eine alte Geschirrspülmaschine. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel

Bella Italia

Als wir den nächsten Ausstellungsraum betreten, werden wir mit dem Lied „Lollipops“ von The Chordettes aus dem Jahr 1958 empfangen. Irgendwie fühle ich mich sofort in Urlaubsstimmung und genau das ist auch das Thema der Szenerie. Italien scheint nicht nur in meiner Familie das angesagteste Urlaubsziel der Zeit gewesen zu sein. Wer es sich irgendwie leisten konnte, organisierte sich einen fahrbahren Untersatz und fuhr ab in den Süden. Wolfenbütteler konnten mit dem Büssing-Bus und Schmidt Reisen auf Tour gehen.

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Das Fernweh trieb die Deutschen in den 50er und 60er Jahren vor allem nach Italien. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel
Das Fernweh trieb die Deutschen in den 50er und 60er Jahren vor allem nach Italien. © Stephanie Angel, Stadt Wolfenbüttel

Noch mal Kind sein

Am längsten hält sich die Gruppe im Ausstellungsraum mit den Spielsachen auf. Da kann eigentlich jeder mitreden und sogar ich entdecke etwas, was auch noch in meinem Kinderzimmer stand: Eine quietschig orange Plastikkasse für den Kaufmannsladen. Auf den Tasten stehen noch Pfennig- und D-Markbeträge und so langsam stellt sich sogar bei mir ein wenig Nostalgiestimmung ein.

Wer dann so richtig auf den Geschmack gekommen ist, hat noch Gelegenheit sich mit Mantel, Hut und Hornbrille zu bewaffnen und witzige Fotos von sich und seinen Liebsten zu machen. Eine tolle Idee und eine schöne Erinnerung an die Ausstellung und an die 50er und 60er Jahre in Wolfenbüttel.

Öffnungszeiten der Ausstellung

13. November 2015 bis 22. Mai 2016
Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, montags geschlossen

Die Ausstellung ist leider schon vorbei. Es gibt aber immer wieder tolle Ausstellungen im Schlossmuseum. Schaut doch einfach auf der Internetseite vorbei: www.schlosswolfenbuettel.de

2 Gedanken zu “Zeitreise in die Kindheit meiner Eltern

  1. Hallo Stephanie,
    ich konnte mich an diesem Artikel gar nicht satt sehen. Betrifft er doch meine ganze Generation. Gut, ich, Jahrgang 1949, gehöre zwar nicht zu den ersten Italienreisenden. Das war die Generation meiner Eltern. Aber meine Eltern konnten es sich nie leisten. Aber ich hatte die (finanzielle) Möglichkeit.
    Aber la bella Italia ist ja nur ein Fragment Deiner Zeitreise. Wenn ich Deine Küche sehe, dann bin ich Zuhause – bei meinen Eltern und meinen 4 Geschwistern. Und mit einer NSU-Quickly bin ich zur Berufsschule gebraust – wenn ich das nötige Kleingeld für „Gemisch“ hatte. Man fuhr zur Tankstelle, der Tankwart pumpte Benzin in einen Zylinder, kippte Öl dazu (deswegen Gemisch) und ließ das alles in den Tank meiner Quickly laufen.
    Der kleine Butscher vor dem Stadtbad könnte ich gewesen sein. Ich hatte auch eine Lederhose an und Kniestrümpfe. Lange Hosen gab es erst zur Konfirmation. Auch im Winter trug ich kurze Hosen. Dann aber lange Strümpfe, die an einem Leibchen befestigt wurden.

    Übrigens gibt es bei uns in Bremerhaven ein Museum der 50er Jahre. Schau doch mal hier: http://www.schwiebert.lima-city.de/museum-der-50er-jahre/

    Einen tollen Blog hast Du!
    Liebe Grüße von der Wesermündung
    Hermann Schwiebert

  2. Hallo Herrmann,
    danke für Deinen ausführlichen Kommentar. Es freut mich, dass Dir der Beitrag so gut gefällt und ich ein paar Erinnerungen an Deine Kindheit und Jugend wecken konnte.
    Viele Grüße in den Norden
    Stephanie

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