Jägermeister Hirsch

Den Kräuter- und anderen Stadtgeheimnissen auf der Spur

Es sollte seine lustigste Werksführung werden, die einer sehenswerten Stadtbesichtigung folgte – Thorsten Windus-Dörr zehrt von vielseitigen Entdeckungen in der Fachwerkstadt.

Ich habe mich aus Liebhaberei für die Jägermeisterführung am Montagmorgen entschieden. Punkt 10:30 Uhr treffen sich 25 Teilnehmer vor der Touristinformation. Die Altersspanne reicht vom Leipziger Pärchen in den Mittzwanzigern bis zu Opa Gloeckler, der mit seinen 80 Jahren und seinem Spazierstock tapfer mithalten wird. Unsere Stadtführerin Frau Bethmann streift jedem eine orangefarbene Jägermeister-Girlande um; so kann sie die Gruppe besser zusammenhalten.

Los geht’s mit ganz viel Jägermeister(geschichten)
Hinter einem Gang über einen Zweigkanal liegt das Jägermeister-Geschäft, doch wir betrachten auf dem »Großen Zimmerhof« die Nummer 26, das Gründungshaus der Firma Mast. Auf dem Gelände des ehemaligen Karstadt- und Hertiehauses befand sich früher die alte Jägermeisterfabrik. Der Große Zimmerhof sollte das auf der Oker angelandete Holz zur schnellen Bearbeitung aufnehmen. Wir wenden uns zunächst dem Schloss zu.

Schloss im Spiegel
Ursprünglich eine Wasserburg, hat es sein jetziges Aussehen erst seit dem 18. Jahrhundert. Es ist, nach dem Leineschloss in Hannover, der größte erhaltene Schlossbau Niedersachsens. Interessant: Es hat eine Fachwerkfassade mit einem vorgelagerten Steinportal und wird als Gymnasium genutzt. In seinem gläsernen Erweiterungsbau spiegelt sich das alte Schloss – faszinierend!

Schloss Wolfenbüttel
Ursprünglich eine Wasserburg: das Schloss Wolfenbüttel

Das achte Weltwunder
Vorbei am Lessinghaus, kommen wir zur weltberühmten Herzog August Bibliothek. Das Gebäude, in den Jahren 1883 bis 1887 im Stil eines florentinischen Palazzo errichtet, ersetzte die baufällige, berühmte Bibliotheksrotunde des 18. Jahrhunderts. Die größte europäische Büchersammlung wurde als achtes Weltwunder angesehen und 1962 zu einer modernen Forschungsbibliothek völlig umgestaltet. Heute umfasst sie circa 800.000 Bände.

Zimmerhöfe und Krambuden
Vom Zeughaus zurück zu den Zimmerhöfen und Krambuden, im 16. Jahrhundert die Grenze zwischen der herzoglichen Residenz und der Bürgerstadt, »Freiheit« genannt. Die Bewohner waren für die Hofhaltung tätig und genossen dafür Abgabenfreiheit. Zur Verteidigung der inneren Residenz, durften Krämer Verkaufsstände (sogenannte Krambuden) aufbauen. Im Falle kriegerischer Angriffe sollten diese jedoch sofort niedergerissen werden und als Barrikaden dienen…
Durch einen torartigen Durchgang kommen wir auf den Kleinen Zimmerhof; hier steht mit der Nummer 15 und knappen 1,70 Metern Breite das schmalste Haus Wolfenbüttels, bis vor der Wende sogar ganz Deutschlands.

Klein Venedig in Wolfenbüttel
Wir überqueren eine der wenigen erhaltenen Grachten. Diese wurden von holländischen Städtebauern im späten 16. Jahrhundert angelegt und durchzogen das Stadtgebiet planmäßig. Die Wolfenbütteler nennen es liebevoll – und zu Recht – »Klein Venedig«. Die Stobenstraße weiter hinauf (früher Badestubenstraße) lag das Rotlichtviertel der Stadt. Die Nummer 5 ist eines der ältesten erhaltenen Häuser aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, mit alten Fächerrosetten und lustigen Darstellungen auf den Balkenköpfen. Wir biegen ab in die Mühlenstraße.
An der Ecke zur Langen Herzogstraße steht das Haus Nummer 63, Bankhaus Seeliger – das erste steinerne Wohnhaus Wolfenbüttels. Opa Gloeckler bemerkt, dass von »Steinhaus« der Begriff »steinreich« abgeleitet sei, Steinhäuser konnten sich eben nur die wirklich Reichen leisten.

Von Konserven und Lumpen
Wir gehen die Lange Herzogstraße, die Hauptgeschäftsstraße Wolfenbüttels, entlang. Hier endet nach knapp zwei Stunden der erste Teil unseres Rundganges. Nebenbei haben wir von Frau Bethmann natürlich noch jede Menge historische Informationen und Anekdötchen erfahren. So auch, dass Mitte des 18. Jahrhunderts die Residenz nach Braunschweig verlegt wurde und Wolfenbüttel verarmte. Da viele Bürger eine Stoffart namens »Lumpen« für die Kleider bevorzugte, prägte sich vorübergehend der Begriff »Lumpenbüttel« ein. Die Stadt erholte sich und wurde Gärtnerstadt, was neue Industrien nach sich zog: Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts war Wolfenbüttel Zentrum der Konservenfabrikation in Deutschland.

Herzog August Bibliothek
Gut verwahrte Schätze findet der Besucher in der Herzog August Bibliothek

Auf zum Jägermeister-Hauptquartier
Nach dem Mittagessen lockt die Juliusstadt, östlich der Altstadt. Vorbei an Holzmarkt und Trinitatiskirche, gehen wir an der Oker entlang bis zur Jägermeisterstraße. Dort, auf dem Gelände der Mast-Jägermeister SE, in den drei gewaltigen Gebäudeflügeln, sind Sicherheit und Geheimhaltung Trumpf. Wir müssen unsere persönlichen Daten hinterlegen, Kameras abgeben und Mobiltelefone ausschalten. Dann erlebe ich die lustigste Werksführung meines Lebens. Unser Führer hat mehr als 20 Jahre hier gearbeitet, kennt jeden Winkel und jede Anekdote. Wir gehen an den Labors vorbei, folgen ihm in die Kräuterkellerei (in der verschiedenste Ingredienzien lagern und das Jägermeister-Elixier ein Jahr lang (!) in 445 mächtigen Eichenholzfässern reift) – und erfahren andere spannende Einzelheiten.

Der Anfang war Essig
Ende des 19. Jahrhunderts prägte der nahe Harz mit seinem Bergbau das wirtschaftliche Leben Wolfenbüttels. Zum Kühlen der abzubauenden Gesteine brauchte man Essig – und Wilhelm Mast machte sich 1878 mit einer Essigfabrikation selbstständig. Als sein Sohn Curt in die Firma eintritt, wird eine Neuausrichtung spürbar: Der junge Mann erweist sich als äußerst talentiert im Zubereiten von Kräuterextrakten. Nach Jahren des Experimentierens war es 1934 soweit: Curt entwickelt einen einzigartigen, geschmacksintensiven und unverwechselbaren Kräuterlikör – Jägermeister.

Das 56-Kräuter-Geheimnis
Anfassen, schnuppern, zerreiben: Einige der Ingredienzien lernen wir im Kräuterkeller kennen. Das Rezept mit den 56 natürlichen Zutaten ist ein Geheimnis, das nur »eine Handvoll Leute« kennen soll.
Wir bestaunen die Galerie von Produkten in Glasvitrinen: Noch bis in die 1960er Jahre führte man eine umfangreiche Produktpalette, mit zeitweise über 20 verschiedenen Spirituosen und edlen Weinen. Opa Gloeckler erkennt sofort den »Jägerkorn« wieder: »Der stand in den 50er Jahren in jedem Haushalt«, erzählt er. Nur ganz allmählich wurde das Sortiment auf Jägermeister und Schlehenfeuer reduziert. Weiter geht es an Mustern der zahlreichen Marketingaktionen vorbei, an der Trikotwerbung für Eintracht Braunschweig, die 1973 startete oder Motiven der Anzeigenkampagne »Ich trinke Jägermeister, weil …«, an die sich nicht nur Opa Gloeckler erinnert.

Jägermeister Hauptquartier
Das Jägermeister-Hauptquartier: hier wird der weltberühmte Likör gebraut

Acht Jäger für jeden Bürger
Überhaupt: In der Rangliste der beliebtesten Spirituosen, liegt Jägermeister weltweit auf dem siebten Platz. Er wird jährlich in 92,2 Millionen Flaschen in mehr als 100 Länder verkauft, mehr als 50 Prozent des Absatzes gehen alleine in die USA. 18 Millionen Flaschen trinken die Deutschen pro Jahr, acht Gläser macht das für jeden Bundesbürger. Günther Mast soll immer gesagt haben: »Einer vor und einer nach dem Essen. Das reicht mir.«
Nach 90 Minuten verlassen wir das Werk, beseelt vom überall präsenten Kräutergeruch und mit einer kleinen Flasche Kräuterlikör unterm Arm. Auf dem Rückweg? Geht’s in die Altstadt, ins Jägermeister-Geschäft …

Info
Die Lessingstadt und Jägermeister – ein unschlagbares Duo.
Sie sollten sich sputen, Teilnahmekarten für unser meistgebuchtes Angebot bei der Tourist-Info zu ergattern: unser Jägermeister-Paket. Von montags bis freitags können Werksbesichtigung, Mittagessen und Stadtführung von Gruppen gebucht werden. Den Montag haben wir für Einzelpersonen reserviert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert